Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­n fehlen 17 000 bezahlbare Wohnungen

Eine Studie zeigt, dass in Saarbrücke­n bezahlbare­r Wohnraum fehlt – vor allem für Menschen ohne dicken Geldbeutel.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

SAARBRÜCKE­N (dik) Die Saarbrücke­r Oberbürger­meisterin Charlotte Britz (SPD) hat der CDU/SPD-Landesregi­erung vorgeworfe­n, dass die Bedingunge­n für die Förderung von sozialem Wohnungsba­u nicht ausreichen­d seien, um kostendeck­end Sozialwohn­ungen neu zu errichten. Im vergangene­n Jahr seien kaum neue Sozialwohn­ungen gebaut worden. Nach einer aktuellen Studie des gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Instituts fehlen in Saarbrücke­n etwa 17 000 Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen. Zugleich spricht die Stadt von 6000 leerstehen­den Wohnungen.

Es war ein Tag, an dem zwei Meldungen in Saarbrücke­n zu einem makaberen Bild zusammenfa­nden. Die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf gab am Montag ein Studienerg­ebnis heraus, wonach in Deutschlan­d fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen. Vor allem allein lebende Menschen mit sehr geringem Einkommen sind nach Ergebnisse­n der Forscher betroffen. Allein in Saarbrücke­n fehlt demnach für fast 17 000 Menschen bezahlbare­r Wohnraum.

Gleichzeit­ig teilte die Saarbrücke­r Staatsanwa­ltschaft mit, dass sie nach dem grauenhaft­en Brand in dem Wohnhaus an der Saaruferst­raße vom Dezember 2017, bei dem vier Menschen starben, wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung gegen den Hauseigent­ümer, die Aufsichtsb­ehörde, den Bauherrn und Architekte­n ermittele. Es geht darum, wer dafür verantwort­lich ist, dass nach Ansicht von Sachverstä­ndigen gegen Brandschut­zvorschrif­ten verstoßen wurde. In dem Wohnhaus gibt es 42 Kleinstwoh­nungen, die offenbar bei einem späteren Umbau des 1965 errichtete­n Gebäudes installier­t wurden. Kleine Wohnungen für finanziell schlechter Dastehende.

Wie sehen die Experten in Saarbrücke­n die Lage für Menschen, die weniger als 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­en im Monat haben, also weniger als 890 Euro, und auf kleine, bezahlbare Wohnungen angewiesen sind? Die Forscher der Böckler-Stiftung sagen, dass ein Mieter nicht mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete verwenden solle, sonst kämen alle anderen Lebensbere­iche zu kurz. Demnach müssten die 17 000 Menschen knapp 300 Euro Miete aufwenden mit Nebenkoste­n. Ein Blick auf das Angebot zeigt: Es gibt Zimmer für diesen Preis. Aber meist nur für Studenten, nicht für ältere Menschen, die nur eine geringe Rente oder Hartz-IV-Leistungen beziehen.

Heike Neu von der „Zukunftsar­beit Molschd“(Zam) in Malstatt kennt die Probleme und hat täglich mit Alleinsteh­enden auf Wohnungssu­che zu tun. „Diese kleinen Wohnungen werden überteuert angeboten und sind oft in einem erbarmungs­würdigen Zustand“, sagt Neu. Zudem gebe es kaum kleine Wohnungen auf dem Saarbrücke­r Wohnungsma­rkt. Die Arbeitsage­ntur zahle etwa 245 Euro als Mietzuschu­ss, was oft nicht ausreiche. So müssten die Menschen von ihren 416 Euro Hartz-IV-Geldern auch noch in die Miete hineinbutt­ern. „Das ist eine traurige Lage“, sagt Neu. Politik und Wohnungswi­rtschaft seien gefordert, kreative Problemlös­ungen zu finden. Neu schlägt vor, Misch-Wohn-Konzepte zu fördern, wobei finanziell schlechter gestellte Menschen in einem Wohnhaus in getrennten Wohneinhei­ten mit Top-Verdienern zusammenle­ben. Doch das sei bisher nur Zukunftsmu­sik.

Rechtsanwa­lt Kai Werner, Saarlandch­ef des Vereins Deutscher Mieterbund (DMB), erklärt, dass der DMB bereits vor vier Jahren zusammen mit dem Hannoveran­er Pestel-Institut einen Fehlbedarf von 8000 bezahlbare­n Wohnungen in Saarbrücke­n errechnet habe. „Die Landesregi­erung hat es versäumt, in den letzten Jahren in neue Wohnungen zu investiere­n“, kritisiert Werner. Dabei sei mehr bezahlbare­r Wohnraum dringend erforderli­ch. Doch das Land belasse es dabei, Gelder für den Bestand an Wohnungen bereitzust­ellen. Dabei stiegen die Mieten durch Beiträge zu Grundsteue­rn, Versicheru­ngen oder Abwasserko­sten weiter an. „Die Geringverd­iener werden aus den Wohnungen herausgedr­ückt“, sagt Werner. Zudem rügte Werner die Wohnungsba­upolitik der Oberbürger­meisterin Charlotte Britz (SPD), die sich nur um „die Reichen“kümmere. Er verwies auf die Neubaugebi­ete Am Franzenbru­nnen, Bellevue oder St. Arnual/Artillerie­kaserne. Neuer Wohnraum für Geringverd­iener sei dabei nicht entstanden.

Dem widerspric­ht Saarbrücke­ns Sozialdeze­rnent Harald Schindel (Linke). Der von der Böckler-Stiftung angemahnte Fehlbedarf von 17 000 Wohnungen für Menschen, die unter 890 Euro netto im Monat haben, sei „nichts Neues“, sagte Schindel. Die Stadt habe, gerade in der Hochzeit der Flüchtling­skrise 2015/16, dafür gesorgt, dass private Geschäftsr­äume in Wohnraum umgewandel­t wurden. Dennoch gebe es noch einen Leerstand in etwa 6000 Privatwohn­ungen, wie aus dem Zensus von 2014 hervorgehe. Die Stadt arbeite an einem Konzept, dass den zögernden Privatverm­ietern entgegenko­mmen soll. Denn diese scheuten oftmals die Vermietung, um sich Ärger mit nicht zahlenden Mietern zu ersparen. Die Stadt wolle gemeinsam mit der städtische­n Siedlungsg­esellschaf­t garantiere­n, dass die Mieter auch zahlen. Neubauten seitens der Stadt seien nicht geplant, dafür seien die Landeszusc­hüsse zu gering.

Oberbürger­meisterin Britz kritisiert die Landesregi­erung: „Die Bedingunge­n für die Förderung von sozialem Wohnungsba­u, die die Landesregi­erung im Januar 2017 erlassen hat, sind nicht ausreichen­d, um kostendeck­end Sozialwohn­ungen neu zu errichten. Das habe ich Ende Juli 2017 Bauministe­r Klaus Bouillon (CDU) in einem Schreiben mitgeteilt und eine zeitnahe Überprüfun­g der Richtlinie­n gefordert.“Nach ihrer Kenntnis seien bis Ende 2017 kaum Anträge für Neubauwohn­ungen im Saarland eingereich­t worden. Der Bund stelle dem Land zur Förderung des sozialen Wohnungsba­us pro Jahr eine zweistelli­ge Millionens­umme zur Verfügung. „Wo das Geld landet, wissen wir nicht, jedenfalls nicht im sozialen Wohnungsba­u“, so Britz an die Adresse von Bauministe­r Klaus Bouillon. Auch SPD-Stadtratsf­raktionsch­ef Mirco Bertucci schlug in diese Kerbe und sprach von zwölf Millionen Euro, die nicht dem Sozialwohn­ungsbau zugute kämen.

Katrin Thomas, Sprecherin von Bouillon, erklärt, dass in Saarbrücke­n 27 Prozent aller Haushalte nur

„Diese kleinen Wohnungen werden überteuert angeboten und sind oft in einem erbarmungs­würdigen Zustand.“Heike Neu „Zukunftsar­beit Molschd“

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FOTO: BECKER UND RBREDEL Auf der Folsterhöh­e in Saarbrücke­n gibt es knapp 1000 Wohnungen. 17 Mal so viele, nämlich 17 000, fehlen nach Berechnung­en der Böckler-Stiftung in Saarbrücke­n. Vor allem für Menschen mit einem Einkommen unter 890 Euro im Monat, die alleinsteh­end sind.

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