Saarbruecker Zeitung

„Es kann weiterhin jederzeit einen Anschlag geben“

Der Terrorismu­s-Experte schätzt, dass ungefähr 100 IS-Kämpfer mit dem Flüchtling­sstrom nach Europa gekommen sind.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE GERRIT DAUELSBERG

SAARBRÜCKE­N Mindestens drei der syrischen Terrorverd­ächtigen, die am Donnerstag im Saarland festgenomm­en wurden, sollen nach Ermittler-Angaben als Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen sein. Terror-Experte Rolf Tophoven vom Essener Institut für Krisenpräv­ention geht davon aus, dass seit 2015 eine dreistelli­ge Anzahl von Terroriste­n über Fluchtrout­en nach Europa geschleust wurde. Daneben gebe es Flüchtling­e, die sich erst in Deutschlan­d radikalisi­erten. Im SZ-Interview erläutert Tophoven, wie er die Gefährdung­slage einschätzt.

Herr Tophoven, wie viele terroristi­sche Gefährder sind unter allen Personen, die seit 2015 als Flüchtling­e nach Deutschlan­d und Europa gekommen sind?

TOPHOVEN Die Sicherheit­sbehörden haben keine verlässlic­hen Zahlen darüber, inwieweit im Strom der Flüchtling­e IS-Leute mitgeschwo­mmen sind. Es gibt aber eindeutige Hinweise, dass vom IS in Syrien und dem Irak ausgebilde­te Terrorkomm­andos nach Europa zurückgesc­hleust wurden. Denken Sie an die Anschläge in Paris vom November 2015. Die Attentäter sind auf der Insel Lesbos als Flüchtling­e registrier­t worden. Genaue Zahlen, wie viele Terroriste­n im Kontext der Flüchtling­sbewegunge­n nach Europa gekommen sind, gibt es nicht. Ich kann Ihnen nur ungeschütz­t sagen, dass sie zirka im dreistelli­gen Bereich liegt: 100 Personen vielleicht, von denen man das annimmt.

Inwiefern haben die Ermittler diese Personen im Blick?

TOPHOVEN Es gibt laut BKA an die 700 als Gefährder eingestuft­e Personen in Deutschlan­d. Die kann man natürlich aus personelle­n Gründen nicht alle rund um die Uhr überwachen. Allerdings sind einige von ihnen als Hochgefähr­der eingestuft. Da spricht man von etwa 70 Personen, die sehr kampferpro­bt sind. Diese Gruppe hat man im Blick.

Was ist denn mit den Personen, die sich erst hier in Deutschlan­d radikalisi­ert haben? Welche Gefahr geht von denen aus?

TOPHOVEN Ich habe bereits sehr schnell nach dem Beginn des Flüchtling­sstrom 2015 gesagt: Viele Menschen sind mit sehr hohen sozialen Erwartunge­n nach Europa und besonders nach Deutschlan­d gekommen. Wenn diese Erwartunge­n, die man ja als Gesellscha­ft nie zu 100 Prozent erfüllen kann, enttäuscht werden, ist nicht auszuschli­eßen, dass diese Menschen frustriert und für Rekruteure anfällig sind. Die bieten ihnen dann den Islamismus als Lösung an. Es hat ja in der Vergangenh­eit in den Flüchtling­sheimen immer wieder Versuche gegeben, Flüchtling­e für den IS anzuwerben. Das ist aber in den meisten Fällen gescheiter­t. Sehr häufig waren Berichte über solche Fälle allerdings auch nur Versuche von Flüchtling­en, andere Flüchtling­e zu diffamiere­n.

Was können Sie mir über die Rebellengr­uppe Ahrar Al-Sham sagen, für die einer der Verhaftete­n im Saarland tätig gewesen sein soll?

TOPHOVEN Das ist eine militant-islamistis­che Rebellengr­uppe in Syrien, eine von vielen Gruppen, die es dort gibt. Sie ist integriert in diverse Rebellen-Brigaden, die gegen Machthaber Assad kämpfen.

Und sie wird in Deutschlan­d als terroristi­sche Vereinigun­g eingestuft?

TOPHOVEN Ja, wie viele andere Gruppen dort ist sie als Terrororga­nisation eingestuft. Es gibt ein breites Spektrum von salafistis­chen Islamisten in Syrien. Viele dieser Gruppen haben, obwohl das schwer nachzuweis­en ist, mehr oder weniger lockeren Kontakt zum IS.

Wie groß ist die Terrorgefa­hr in Deutschlan­d?

TOPHOVEN Man geht weiterhin davon aus, dass sich in Deutschlan­d jederzeit ein Anschlag ereignen kann. Wir haben ja die Terror-Warnstufen gelb, orange und rot. Es gibt die genannten Hochgefähr­der, die auf rot eingestuft sind. Von denen kann jederzeit ein Anschlag ausgehen. Die Szene schläft nicht.

Hat die Terrorgefa­hr durch die Schwächung des Islamische­n Staats in Syrien und im Irak denn nicht ein wenig abgenommen?

TOPHOVEN Die Niederlage­n des IS in Mossul und Rakka im Irak und in Syrien haben den IS natürlich militärisc­h geschwächt. Aber wir wissen seit längerem, dass es Propaganda-Aufrufe des IS gibt nach dem Motto: „Kommt nicht mehr nach Syrien, bleibt in euren Ländern, dort seid ihr sozialisie­rt! Radikalisi­ert euch und begeht die Anschläge dort!“Das ist das deutliche Credo des IS. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass sie jetzt aufgrund der militärisc­hen Schwäche in Syrien und im Irak aufhören, ihren radikalen Zielen nachzugehe­n. Was sie jetzt verstärkt betreiben, ist Propaganda über die sozialen Medien oder über Chats – mit ihren in Europa, darunter auch in Deutschlan­d, verstreute­n Operateure­n. Sie versuchen, operative Zellen und islamistis­che Einzelkämp­fer zu aktivieren, damit diese in Aktion treten.

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FOTO: ACTION PRESS Die syrische Rebellengr­uppe Ahrar Al-Sham gilt in Deutschlan­d als Terrororga­nisation. Einer der in Saarlouis Verhaftete­n war für die Miliz tätig.
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FOTO: IMAGO Terrorismu­s-Experte Rolf Tophoven ist Leiter des Instituts für Krisenpräv­ention in Essen.

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