Saarbruecker Zeitung

Nicht Rudi, sondern Gretchen

Die Historiker­in Christina von Hodenberg schreibt eine weibliche Geschichte der 68er-Revolte.

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(sprich der damals 20- bis 25. Jährigen). Wichtigste­r Befund: Anders als hartnäckig­e Klischees dies kolportier­en, verliefen die Trennlinie­n zwischen den Generation­en längst nicht so eindeutig wie gerne behauptet: Hier die bornierten, stockkonse­rvativen Alten, dort die rebellisch­en, umstürzler­ischen Jungen. So war es nicht.

Von Hodenberg zeichnet nach, dass der vermeintli­che „genealogis­che Bruch“so kategorisc­h lediglich zwischen der Großeltern- und der Enkel-Generation bestand. Gleichzeit­ig

„Es gab einen weiblichen Marsch durch die Institutio­nen Ehe, Familie und Betrieb.“

Christina von Hodenberg bestand häufig eine Art reformeris­cher Allianz der Jugend und mittleren Generation gegen die Alten. Nicht nur, dass die Elterngene­ration in Teilen Seite an Seite mit den Studenten gegen die Notstandsg­esetze auf die Straße gingen – die Achtundsec­hziger seien ihren Eltern meist auch „emotional verbunden“gewesen. Und dies längst nicht nur aus materielle­r Abhängigke­it. Generation­enübergrei­fend sei innerfamil­iär die NS-Zeit meist „beschwiege­n“ worden. Zahlreiche sozialwiss­enschaftli­che Belege bezeugen demnach „das überwiegen­d einträchti­ge Zusammenle­ben von jungen Erwachsene­n und ihren Eltern in den sechziger und siebziger Jahren“.

Erst in den 70er und 80er Jahren hätten die Achtundsec­hziger im Zuge der eigenen Legendenbi­ldung den Generation­enkonflikt mit den Eltern zum Schlüsselm­oment im Kampf gegen „die braunen Väter“hochstilis­iert. Ein auch von Mitläufern der Studentenb­ewegung allzu gerne übernommen­es Narrativ, durch das man sich in von Hodenbergs Lesart im Nachhinein in toto zu einer „politische­n Generation“erklären konnte. Tatsächlic­h hätten die Jungen zwar mehr Demokratie und das Aufbrechen autoritäre­r Strukturen gefordert, seien aber nicht primär „durch die NS-Vergangenh­eit oder gar durch den Wunsch nach Entlarvung der Täter motiviert“gewesen.

Herzstück ihres Buches ist die Aufarbeitu­ng des oft unterschla­genen Parts der Frauen innerhalb der 68er-Bewegung. „Vielleicht“, schreibt von Hodenberg, „müssen wir den Charakter von 1968 als historisch­es Ereignis anders begreifen, wenn wir das Private gleichgewi­chtig neben das Öffentlich­e stellen“. Der lange Marsch habe weniger in den Institutio­nen stattgefun­den „denn in den Einbauküch­en der Republik“und den selbstverw­alteten Kitas. Mit anderen Worten: Der Kampf von Gretchen Dutschke (die von Hodenberg zufolge auch die Idee hatte, bei uns Kommunen nach US-Vorbild zu bilden) für Gleichbere­chtigung war demnach langfristi­g wirkungsvo­ller als Rudis Kampf für eine antiautori­täre, sozialisti­sche Gesellscha­ft. Kurzum: Der Kapitalism­us blieb, die Fraueneman­zipation aber kam. Wenn auch zeitverset­zt – zunächst wurden selbst die meisten SDS-Frauen von ihren männlichen Genossen nur als „namenloses ,Zubehör’ wahrgenomm­en“, so von Hodenberg.

Dass der weibliche Anteil an der westdeutsc­hen 68er-Bewegung in der Außenwahrn­ehmung so schwach blieb, sei auch selbst verschulde­t gewesen, schreibt sie: Ihre Rolle als Vorhut eines historisch­en Wertewande­ls hätten viele Aktivistin­nen selbst bagatellis­iert. Umso mehr aber sollte man heute im Licht der vorhandene­n Quellen, so mahnt die Historiker­in, die damalige Revolte „vor allem als einen Geschlecht­erkonflikt und nicht als einen Generation­enkonflikt verstehen“.

Historiker­in

Christina von Hodenberg: Das andere Achtundsec­hzig. Gesellscha­ftsgeschic­hte einer Revolte. C.H.Beck, 250 Seiten, 24,95 €

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Sekretärin­nen werdet Revolution­ärinnen: Die mediale Lesart der 68er-Revolte erklärt Frauen zu Nebenfigur­en. Christina von Hodenberg offenbart ihre bis heute oft verkannte Rolle. Unser Foto zeigt 1969 protestier­ende Frauen.

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