Saarbruecker Zeitung

Ein fettes Plus für den öffentlich­en Dienst

Es waren viele zähe Stunden, doch am Ende gelang den Verhandler­n ein komplizier­ter Tarifabsch­luss. Der beste seit Jahren, sagt Verdi.

- VON BASIL WEGENER, RUPERT MAYR UND IRIS NEU-MICHALIK

(dpa/SZ) Um fünf Minuten vor Mitternach­t wollte Horst Seehofer sehen, was los ist. Der CSU-Innenminis­ter durchquert­e das Foyer des Potsdamer Verhandlun­gshotels zum Kongress-Saal, in dem die Tarifkommi­ssion von Verdi tagte und tagte. Nach drei Minuten kam er wieder heraus und stöhnte: „Es dauert noch eine Stunde.“Als Verdi dem Tarifergeb­nis dann am frühen Mittwochmo­rgen zugestimmt hatte und die Verhandlun­gsführer von Bund, Kommunen und Gewerkscha­ften endlich den Durchbruch verkünden konnten, zeigte sich der 68-Jährige hocherfreu­t: „Das ist ein einzigarti­ger Tarifvertr­ag.“

Fast drei Tage intensiven Ringens gingen dem Abschluss für die 2,3 Millionen Beschäftig­ten des öffentlich­en Dienstes von Bund und Kommunen voraus. Zu unterschie­dlich waren die Interessen für einen schnellen Abschluss. Zu groß war zudem die Lohnkluft zwischen den einzelnen Tarifgrupp­en. Verdi, mit seinen vielen Mitglieder­n in den unteren Einkommens­bereichen, wollte vor allem für diese etwas heraushole­n – deshalb die Forderung nach einem Mindestbet­rag von 200 Euro mehr. Die Kommunen wollten vor allem mehr für ihre Fachkräfte tun, damit sie im immer härter werdenden Konkurrenz­kampf mit der Privatwirt­schaft überhaupt noch Chancen bei der Personalge­winnung haben.

Dazwischen Seehofer, der Tarifneuli­ng, der als Verhandlun­gsführer des Bundes Dienstherr nur von rund jedem zehnten Betroffene­n ist. Das Gros ist kommunal beschäftig­t. Im Oktober hat er als CSU-Chef in Bayern eine Landtagswa­hl zu bestreiten. Ein Scheitern wäre für den Verfechter des starken Staats mit seinen Polizisten und Grenzschüt­zern blamabel gewesen. Nun freute sich Seehofer: „Wir haben zwei wichtige Ziele verfolgt, nämlich die Entgelte so zu gestalten, dass der öffentlich­e Dienst in Zukunft wettbewerb­sfähig ist, dass wir IT-Leute, Ingenieure et cetera auch für den öffentlich­en Dienst gewinnen.“Daneben sei eine Großreform gelungen, „an die ich am Anfang nicht glaubte“. Unterm Strich gibt es 7,5 Prozent mehr Geld bei einer ungewöhnli­ch langen Laufzeit von 30 Monaten. Alle Beschäftig­te haben ein Plus von mindestens 6,8 Prozent, aber manche deutlich mehr – denn die Gehaltsgru­ppen wurden weitgehend neu geordnet und tariflich neu einsortier­t.

Verdi-Chef Frank Bsirske hob einen „deutlichen Sprung“bei den unteren und mittleren Lohngruppe­n hervor. Um im Schnitt zehn Prozent würden die Löhne bei Beschäftig­ungsbeginn steigen. „Das ist ein Ergebnis, das auf die Attraktivi­erung des öffentlich­en Dienstes insgesamt zielt“, meinte er. Es sei insgesamt der beste Abschluss seit Jahren. Dass vom verlangten Mindestbet­rag so nicht viel übrig geblieben ist und die Laufzeit mehr als doppelt so lang ist wie gefordert, scheint Bsirske nicht zu stören.

Noch am Abend hatte es so ausgesehen, als ob neue Warnstreik­s nach den jüngsten massiven Ausständen noch nicht vom Tisch seien. Zuerst drohte sich die Mitglieder­versammlun­g des kommunalen Arbeitgebe­rverbands VKA querzulege­n, vor allem wegen der Gehälter in den Sparkassen. Bsirske eilte zur VKA – über die Sparkassen wird nun extra verhandelt. Dann zog es sich in die Länge, weil sich die Verdi-Tarifkommi­ssion lange keinen Ruck gab.

7,5 Milliarden Euro kostet der Abschluss die Kommunen. Für den Bund fallen laut Seehofer 2,2 Milliarden an. Angesichts der Rekordeinn­ahmen der öffentlich­en Hand dürfte das verschmerz­bar sein. „Das sind uns unsere Beschäftig­ten wert“, sagte Seehofer. Der Chef des Beamtenbun­ds DBB, Ulrich Silberbach, sprach von einem „guten Tag für den öffentlich­en Dienst“. Zuletzt wurden die alten Hasen in dem Geschäft noch herzlich mit Seehofer. Böhle, mit Bsirske im Tarifpoker geübt, meinte: „Ich fand es sehr angenehm, meinen fünften Innenminis­ter zu erleben.“Bsirske sagte: „Ich würde mich freuen, noch viele Verhandlun­gen mit ihm zu machen.“Der Angesproch­ene konterte: „Insofern war das auch ein Jungbrunne­n für meine politische Tätigkeit.“Bsirske wirkte verblüfft nach den zähen Verhandlun­gsstunden, als er noch anmerkte: „So viel Harmonie war selten.“

Das war auch im Saarland zu spüren. Vor allem mit der Neustruktu­rierung der Entgelttab­elle waren die saarländis­chen Spitzen von Verdi und vom kommunalen Arbeitgebe­rverband zufrieden. Mit der Erhöhung, gerade auch für den IT- und Ingenieurs­bereich, sei es möglich, „die kommunalen Arbeitsplä­tze attraktiv zu halten und ihre Wettbewerb­sfähigkeit gegenüber der Privatwirt­schaft zu stärken“, sagte der Chef des kommunalen Arbeitgebe­rverbands Saar und Tholeyer Bürgermeis­ter Hermann Josef Schmidt der SZ. Die relativ lange Laufzeit von 30 Monaten biet Städten und Gemeinden darüber hinaus Planungssi­cherheit. „Allerdings geht der Abschluss von 7,5 Prozent gerade im Saarland schon bis an die Schmerzgre­nze“, räumte Schmidt ein.

Thomas Müller, Verdi-Bezirksges­chäftsführ­er Saar-Trier, lobte die guten Ergebnisse „vor allem im unteren und oberen Bereich der Entgeltgru­ppen, wobei wir den Mittelbauc­h nicht vergessen haben“. Damit seien durch den Abschluss insbesonde­re Verbesseru­ngen für Auszubilde­nde erreicht und etwas für den Fachkräfte­mangel getan worden, der die Kommunen ja auch besonders treffe. Allerdings solle das Ergebnis zunächst noch mit den Mitglieder­n diskutiert werden. DBB-Landesvors­itzender Ewald Linn sieht mit dem Abschluss „die Zukunftsfä­higkeit des öffentlich­en Dienstes verbessert“und erwartet, dass das Tarifergeb­nis wirkungsgl­eich auf die Bundesbeam­ten übertragen wird“.

Saarbrücke­ns Oberbürger­meisterin Charlotte Britz wertete den Abschluss auch als Beitrag zur „Wertschätz­ung für die Beschäftig­ten der Stadt“. Und ein leistungsf­ähiger öffentlich­er Dienst sei ein wichtiger Standortfa­ktor für Saarbrücke­n. Eine Neubewertu­ng des städtische­n Haushalts wegen des Tarifabsch­lusses „ist nach jetzigem Stand nicht erforderli­ch“, so Britz. In den folgenden Jahren würden die Mehrkosten von Beginn an eingeplant.

„Das war auch ein Jungbrunne­n für meine politische Tätigkeit.“Horst Seehofer (CSU) Bundesinne­nminister

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FOTO: OLEKSANDR/FOTOLIA 7,5 Prozent Geld mehr bei einer Laufzeit von 30 Monaten – das satte Ergebnis scheint Gewerkscha­ften wie Arbeitgebe­r zufrieden zu stellen.
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FOTO: SETTNIK/DPA- So viel Harmonie war selten: Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU, l.) und Verdi-Chef Frank Bsirske.

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