Saarbruecker Zeitung

Von menschlich­en Abgründen in einer adretten Stadt

Die Polizei geht mit einer Großrazzia gegen die Organisier­te Kriminalit­ät vor. Im Fokus steht ein Siegener Bordell-Netzwerk mit Prostituie­rten aus Thailand.

- VON YURIKO WAHL-IMMEL Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Frauke Scholl

(dpa) Erschrecke­ndes Leid und menschlich­e Abgründe. Zwangspros­titution in vielen deutschen Städten, Gewerbegeb­ieten, im ländlichen Raum. Und ausgerechn­et im adretten nordrhein-westfälisc­hen Siegen soll eine 59-jährige Thailänder­in als Drahtziehe­rin das menschenve­rachtende Geschäft gesteuert haben. Die Bundespoli­zei hat einen Menschenhä­ndlerring mit einem weit verzweigte­n Bordell-Netzwerk gestoppt. In deutschlan­dweiten Razzien gehen etwa 1500 Kräfte am Dienstag ab 6 Uhr gegen die Rotlichtba­nde vor – und nehmen vor allem ein unauffälli­ges Haus in der 100 000 Einwohner-Stadt Siegen ins Visier.

Einsatzort Eiserfelde­r Straße 45. Die 59 Jahre alte Thailänder­in als mutmaßlich­er Kopf der Bande und ihr Lebensgefä­hrte (62) werden dort in aller Frühe von schwer bewaffnete­n, vermummten Kräften gestellt, verhaftet. In den vier Etagen des Wohnhauses – nur das Schild „Kundenpark­platz“scheint nicht zu passen – hat sich dem Verdacht der Ermittler zufolge Furchtbare­s und Illegales ereignet.

Wohl hunderte Menschen aus Thailand sind laut Frankfurte­r Generalsta­atsanwalt unter hohen Gewinnvers­prechungen nach Deutschlan­d gelockt worden. Und offenbar landeten viele zunächst in dem Haus in Siegen, nahe einem Einkaufsze­ntrum und einigen Industrieh­allen, gestern von Polizei-Einsatzwag­en umlagert. Im Fokus der Kriminelle­n standen nach Erkenntnis­sen der Generalsta­atsanwalts­chaft bevorzugt Transsexue­lle.

Die Beamten begleiten am Vormittag acht thailändis­che Frauen aus dem Bordell. Schmächtig sind sie, eine wirkt noch wie ein Mädchen, einige haben ihr Gesicht mit einem Mundschutz oder ihren Haaren verdeckt. Drinnen im Bordell gibt es viele kleine Zimmer, „Verrichtun­gsräume“auf drei Etagen bis unters Dach. Alles dreckig, voller Gerümpel, abstoßend, wie Polizeispr­echer später schildern. „Das geht einem schon sehr nahe, in welchen Verhältnis­sen die Frauen da hausen mussten“, sagt Polizistin Martina Dressler. Der Schwerpunk­t der Razzia liegt in Nordrhein-Westfalen, mit Einsätzen in Bonn, Düsseldorf, Bonn, Ostwestfal­en, dem Ruhrgebiet – und vor allem eben in Siegen. Denn dort sollen die ankommende­n Prostituie­rten zunächst gearbeitet haben, bevor sie dann bundesweit „verteilt“wurden, wie die Generalsta­atsanwalts­chaft in Frankfurt und zeitgleich die Bundespoli­zei in Siegen mitteilen. Auch in Saarbrücke­n wurde ein 34-jähriger Thailänder verhaftet.

„Mit erschliche­nen Visa wurden die Personen ins Bundesgebi­et gebracht, von Bordell zu Bordell, von Massagesal­on zu Massagesal­on, und mussten nahezu ihren gesamten Lohn abgeben“, sagt Polizeispr­echer Jens Flören. Das Haus in Siegen soll ein Loch gewesen sein. Die Rollläden sind fast alle zugezogen, kein Zutritt zum Gebäude, die Spurensich­erung dauert. „Unser Kernanlieg­en ist es, die Frauen da rauszuhole­n“, betont Flören. Und das geschieht überall in Deutschlan­d.

In Siegen werden zwei weitere Bordelle durchsucht, direkt angrenzend an eine lebendige Shoppingss­traße. Aus einem Haus mit Hinterhof-Charakter holt die Polizei zwei Frauen und nimmt eine Beschuldig­te fest. Auch vor dem anderen Razzia-Ziel stehen stundenlan­g Einsatzwag­en.

In Thailand suchen viele Frauen aus ärmeren Regionen in der Heirat mit einem Ausländer einen Ausweg. Andere werden auch in die Prostituti­on im Ausland gelockt. In dem asiatische­n Land gibt es nach Schätzunge­n mehr als 120 000 Prostituie­rte und etwa 300 000 transsexue­lle Frauen, die dort „Ladyboys“heißen und oft in der Sexindustr­ie arbeiten.

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FOTO: VOGEL/DPA Großrazzia in Deutschlan­d: Polizisten überprüfen Personalie­n im Rotlichtmi­lieu – wie hier in Bonn.

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