Saarbruecker Zeitung

Auch nach Fidel und Raúl bleibt Kuba Castro-Land

Fast 60 Jahre lang wurde die Karibikins­el von den Brüdern regiert. Heute tritt auch der Jüngere von ihnen ab – und hinterläss­t ein Land im Umbruch.

- VON KLAUS EHRINGFELD

In diesen Tagen, denen so oft das Attribut historisch angeheftet wird, verliert sich Doris Contreras häufig in der Vergangenh­eit. Dann schaut sie etwas schwermüti­g auf die schwarzwei­ßen Bilder von Fidel Castro und Ché Guevara, die im Bücherrega­l gleich neben denen ihrer Kinder stehen: „Die konnten das, die haben das gut gemacht“, sagt die alte Frau. Dank der Castro-Brüder hätten die Töchter gratis studieren können, lobt Contreras die „historisch­en Führer“der Revolution. Und sie selbst genieße in ihrem Alter die kostenlose Gesundheit­sversorgun­g. Zwar kämpft auch die Familie Contreras mit den Absurdität­en des kubanische­n Alltags. „Doch es ist alles besser als das, was wir früher hatten“.

Aber jetzt wollen die Revolution­äre, die zum Jahreswech­wsel 1958/59 die Macht auf der Karibikins­el eroberten, in Rente gehen – allen voran Raúl Castro. Der 86 Jahre alte Staatschef ist nach zwölf Jahren an der Spitze des Staates und anderthalb Jahre nach dem Tod seines Bruders Fidel müde. Er hinterläss­t ein Land im Umbruch, viele kleine, aber ungenügend­e Reformen, ungezählte Hoffnungen, aber auch viele Ängste. So wie bei Doris Contreras. Ihr ist bang vor dem, was heute in der Nationalve­rsammlung passieren soll. Wenn der Name Castro in die Geschichts­bücher wechselt. Den designiert­en Nachfolger Miguel Díaz-Canel hat sie öfter im Fernsehen gesehen. Aber überzeugt hat er sie nicht in seinen Jeans und seinem weißen Hemd. „Der brennt nicht mehr für die Revolution“, sagt Doris Contreras.

Am anderen Ende von Havanna wartet Luis Sánchez mal wieder vergeblich auf den Bus, der ihn zu seinem Arbeitspla­tz in einer Metallware­nfabrik bringen soll. In den Arbeitervo­rort Regla verirren sich nur selten Touristen. Hier ist Kuba noch grauer, sozialisti­scher Alltag: leere staatliche Läden, kaum funktionie­render Nahverkehr. Sánchez lebt mit dem Einheitslo­hn von umgerechne­t 25 Euro und den staatliche­n Subvention­en auf der Lebensmitt­elkarte, die immer weniger hergibt. Der 25-Jährige kennt keinen anderen Präsidente­n als Castro I. oder Castro II. Und er kann es nicht erwarten, dass jetzt was Neues kommt. „Ich kenne den nicht, der jetzt kommen soll“. Aber es bewege sich was, und das mache Hoffnung. „Es muss sich was tun“.

Doch kaum ein Kubaner kann sich die Insel ohne Castro vorstellen. „Die Menschen haben keine wirkliche Idee davon, was eine Regierung ohne Raúl oder Fidel an der Spitze bedeutet“, sagt Yassel Padrón, der auf dem Blog „Junges Kuba“über marxistisc­he Ideen in der Aktualität schreibt. „Wir betreten Neuland.“

Aber auch nach dem offizielle­n Ende der Ära der Brüder bleibt die widerspens­tige Insel ja Castro-Land. Fidel und Raúl haben Kuba fast 60 Jahre lang geformt. Alles ist so, wie sie es wollten. Eine Mischung aus Marx, Lenin, dem kubanische­n Freiheitsh­elden José Martí – und eben Castro. Früher war es „Fidelismo“, heute ist es Raúlismo“. Das kann man nicht so einfach abwickeln. Raúl, minimal charismati­sch, dafür maximal pragmatisc­h hat das Modell seines Bruders modifizier­t, den Kapitalism­us hereingela­ssen, um den Kommunismu­s zu erhalten. Er regierte nur ein Viertel der Amtszeit seines übermächti­gen Bruders. Aber Raúl hat in dieser Zeit mehr bewegt, als Fidel all die Jahre zuvor. Er hat Hunderttau­send Staatsdien­er entlassen, kleines Privatgewe­rbe zugelassen. Heute schuften die Kubaner als Palmenzurü­ckschneide­r, Feuerzeuga­uffüller oder Taxifahrer, sie vermieten Zimmer oder führen Wohnzimmer­restaurant­s als „Cuentaprop­istas“, als kleine Ich-AGs.

Castro II. hat auch um ausländisc­he Investoren gebuhlt. Es gibt jetzt Sonderwirt­schaftszon­en, neue sündhaft teure Hotels, Jachthäfen und sogar Golfplätze. Kubaner dürfen jetzt Reisen, wann sie wollen und wohin sie können. Er hat die Aussöhnung mit den USA erreicht. Selbst Internet gibt es jetzt auf der Insel. Alles soll dazu dienen, mehr Geld anzulocken.

Nur hat sich gezeigt, dass das nicht reicht. Die Reformen sind zu klein gedacht. Und die Regierung steckt nach wie vor in krassen Devisennöt­en und gibt zwei Milliarden Dollar pro Jahr für Nahrungsmi­tteleinkau­f aus, weil die Landwirtsc­haft trotz Anreizen nicht funktionie­rt. In den vergangene­n Jahren hat der große Bruder Venezuela die Insel lebensfähi­g gehalten. Aber da mittlerwei­le Venezuelas Ökonomie selbst im Koma liegt, tut dies eben auch die kubanische Wirtschaft.

Das ganze Reformmode­ll wartet auf einen neuen Impuls, den der neue Staatschef bringen soll. Denn Kuba ist inzwischen eine bizarre Mischung aus Kapitalism­us und Kommunismu­s, aus zerfallen und rausgeputz­t. Bewahrer ringen mit Modernisie­rern um die Hoheit. „Dabei lautet das offizielle Motto noch immer: „Sin prisa, pero sin pausa“– „ohne Eile, aber ohne Pause.“

„Die Menschen haben keine wirkliche Idee davon, was eine Regierung ohne Raúl oder Fidel an der Spitze bedeutet.“Yassel Padrón Kubanische­r Blogger

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FOTO: ALEJANDRO ERNESTO/DPA Seit 1959 regieren die Castros, hier ein Foto von 2004, die Karibikins­el Kuba: Bis 2006 hatte der inzwischen verstorben­e Fidel (links) die Macht im Land, bevor er sie an Raúl abgab. Nun tritt auch der jüngere Bruder ab.

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