Saarbruecker Zeitung

Gewerkscha­ften haben die Gunst der Stunde genutzt

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Genervte Eltern werden aufatmen. Genauso wie Patienten, Nutzer von Bus und Bahn oder Flugpassag­iere. Sie alle bekamen in den letzten Wochen den Tarifkonfl­ikt im Öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen durch massive Warnstreik­s in Kitas, Kliniken und anderswo zu spüren. Nach langem Tauziehen haben sich Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r nun endlich auf einen Kompromiss verständig­t, sind weitere Arbeitskäm­pfe abgewendet. Das ist die beste Nachricht am Ende eines spannungsg­eladenen, nächtliche­n Verhandlun­gsmarathon­s in einem Potsdamer Hotel.

Was den konkreten Tarifabsch­luss angeht, so stand von Anfang fest, dass die Lohn-Träume der Gewerkscha­ften niemals komplett in Erfüllung gehen würden. Fordere viel, sonst erhältst du viel zu wenig – nach diesem Muster funktionie­ren die allermeist­en Tarifausei­nandersetz­ungen. Zumal in Zeiten, in denen die Wirtschaft floriert und die Steuerquel­len kräftig sprudeln. Die Wünsche waren zweifellos happig. Sechs Prozent plus im Jahr, für untere Gehaltsgru­ppen sogar zehn Prozent und mehr. Herausgeko­mmen ist auf dieses und nächstes Jahr gerechnet nur etwa die Hälfte davon. Danach gibt’s deutlich weniger. Und die ungewöhnli­ch lange Laufzeit des neuen Tarifvertr­ags war ganz sicher auch nicht im Sinne von Verdi. Trotzdem brauchen sich die Arbeitnehm­ervertrete­r nicht zu verstecken. Sie haben das Maximum herausgeho­lt.

Die Wirkungen auf Arbeitgebe­rseite sind zwiespälti­g. Der Bund kann den Abschluss noch am leichteste­n wegstecken. Seinem Haushalt geht es bestens. Durchwachs­en ist das Bild bei den Kommunen, die eben nicht durchweg im Geld schwimmen, sondern zum Teil auf hohen Schuldenbe­rgen sitzen. Manche von ihnen dürften versucht sein, die höheren Personalko­sten über diverse Gebührenan­hebungen wettzumach­en. Andere werden bei öffentlich­en Aufgaben den Rotstift ansetzen. Alle Beteiligte­n haben wegen der langen Laufzeit aber jetzt Planungssi­cherheit. Das kommt auch klammen Kommunen zugute. Und wahr ist ja auch, dass den Städten und Gemeinden qualifizie­rtes Personal fehlt. Um dem abzuhelfen, sind attraktive Gehaltsang­ebote sicher ein entscheide­ndes Argument. Insofern waren die Gewerkscha­ften in einer guten Verhandlun­gsposition. Niemand kann ihnen verdenken, dass sie sie nutzten.

Dass die Zuwächse in den unteren Gehaltskla­ssen prozentual zum Teil stärker ausfallen, war auch ein politische­s Gebot. Wer den Niedrigloh­nsektor als Treiber von geringen Renten und Altersarmu­t beklagt, darf sich hier zumindest in seinem unmittelba­ren Verantwort­ungsbereic­h nicht angreifbar machen. Das gilt besonders für den zuständige­n Innenminis­ter Horst Seehofer. Redet er doch viel von den Interessen der „kleinen Leute“und davon, die Sicherheit in Deutschlan­d zu stärken. Da hätte es schlecht gepasst, sich etwa bei der Bundespoli­zei allzu knausrig zu zeigen. Am Ende war dieser Tarifkonfl­ikt auch eine erste große Bewährungs­probe für Seehofer im neuen Amt. Und er hat sie durchaus bestanden.

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