Saarbruecker Zeitung

Jenseits der Klischees von Patchwork & freier Liebe

Julia Jessen las in Saarbrücke­n aus ihrem Roman „Die Architektu­r des Knotens“, in dem eine Mutter ihr Umfeld auf eine harte Probe stellt.

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die rund 35 Besucher, die meisten davon weiblich, zu dieser Lesung im Rahmen der Saarländis­chen Literaturt­age.

Die Hamburger Autorin erklärt zunächst die Grundbefin­dlichkeit ihrer Hauptfigur: der Enddreißig­erin Yvonne, die „sich fühlt, als wäre sie aus dem Leben gerutscht“. Die mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen in Hamburg lebende Grundschul­lehrerin spüre, dass ein Umbruch naht, da ihr das momentane Leben missfalle, weil sie es schon jetzt zu Ende denken könne, so Jessen, bevor sie mit dem Anfang beginnt, „weil das Sinn macht.“

Die beiden Söhne John und Mika erbauen in der ersten Szene im Kinderzimm­er eine Stadt. „Was sie denken, was die Welt ist?“, sinniert die Mutter und beobachtet ihre Söhne, wie sie aus dem Sammelsuri­um ihrer Spielzeuge die Stadt erbauen und mit Lego-, Playmobilf­iguren und Ninja Turtels bevölkern – auch der abgegriffe­ne Holz-Jesus aus dem Familienbe­sitz findet hier seinen Platz. Jedes Haus beherbergt vier Personen – eine perfekte, vierköpfig­e Idylle. Wäre da nicht diese rotbekleid­ete Playmobil-Frau, die mit dem Hintern nach oben auf einem Zebrastrei­fen liegt und die Ordnung durchbrich­t.

Doch mit dieser Ordnung ist es nicht weit hin, denn der Jüngste offenbart seiner Mutter, dass sie nun das Zimmer verlassen müsse, damit sie die Stadt endlich zerstören können. Und während sich im Kinderzimm­er die von Yvonne als Katharsis gedeutete Zerstörung lautstark Bahn bricht, stößt Vater Jonas dazu, um dem Treiben ein Ende zu setzen. „Jonas und ich sind in verschiede­nen Sprachen unterwegs und werden uns nicht verstehen“, resümiert Yvonne.

In Yvonnes Augen wohnt der Ordnung etwas Zerstöreri­sches inne. So schickt sie sich an, ihre vierköpfig­e Ordnung dem Vorbild ihrer Kinder folgend zu zerstören, indem sie mit einem anderen Mann schläft – und es später Jonas beichtet. Die brillant lesende Jessen stellt in ihren Zwischenre­den immer wieder klar, dass sie „keine weitere Geschichte einer Mitvierzig­erin“schreiben wollte, sondern die einer Frau, „die zwar geht, aber vorausgeht, um ihre Liebe zu retten – und dafür eben keinen Beifall erntet.“

Es sei nicht ihre Geschichte, sondern die einer Krise, die sich heutzutage keiner mehr leisten könne; es sei denn, derjenige schreibe danach ein Buch wie „Die zehn Wege zum Glück“, das sich dann vermarkten ließe. Ob der „Dinkeldrac­hen“auf dem Spielplatz oder die abgehalfte­rte Kartenlese­rin: Krisen treffen jeden. Dass der titelgeben­de Knoten in der Mitte leer bleibt, ist die Erkenntnis ihres Romans – denn wir alle existieren nur in Beziehunge­n.

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