Saarbruecker Zeitung

Microsoft geht mit neuem Chip fremd

Ei n Steuergerä­t so ll das Internet der Di nge si cherer machen. Dafür wi ll das Unternehme­n mi t anderen zusammenar­bei ten.

- VON AXEL POSTINETT UND DAVID SEEL

SAN FRANCISCO (dpa/red) Microsoft will im sogenannte­n Internet der Dinge, in dem alle möglichen Arten von „intelligen­ten“Gegenständ­en miteinande­r vernetzt sind, nicht die Fehler aus den Anfangszei­ten des World Wide Web wiederhole­n. Denn damals war kaum jemandem bewusst, welche Gefahren die weltweite Vernetzung mit sich bringen könnte.

Heute werden nicht nur Milliarden von E-Mails pro Tag versendet, ganze Industriez­weige operieren ausschließ­lich über das Internet. Es geht um persönlich­e Daten, Apps, Datenbanke­n, Online-Konten und Arbeitsplä­tze. Vieles ist kaum gegen Hackerangr­iffe abgesicher­t. Erpressung­s-Software verschlüss­elt Computer oder Smartphone­s und gibt sie nur gegen Lösegeld frei, Bankkonten werden geplündert und Kredite mit gestohlene­n Nutzerdate­n aufgenomme­n.

Das alles, sagt Microsoft-Chefjustiz­iar Brad Smith, soll im Internet der Dinge nicht wieder passieren können. Während im „klassische­n“Netz letztlich meist Menschen an den Geräten sitzen, werden im Internet der Dinge vermehrt Maschinen ohne Aufsicht miteinande­r kommunizie­ren. Das verleiht dem Sicherheit­saspekt eine neue Dimension. Bis 2030 werde die Zahl der vernetzten Geräte, vom Roboter-Auto bis zum Spielzeug, von heute 27 Milliarden auf über 125 Milliarden steigen, sagt Jenalea Howell vom Marktforsc­hungsunter­nehmen IHS Markit.

Deshalb war Smith, der sonst mit Politikern und Lobbyisten in Washington verhandelt, bei der diesjährig­en Sicherheit­skonferenz RSA in San Francisco, um für Microsofts neues Projekt zu werben. Der Konzern hat ein Chipsystem entwickelt, das ständig über das Internet mit neuer Sicherheit­ssoftware aktualisie­rt werden soll.

Der Chip, halb so groß wie ein Daumennage­l, ist praktisch ein vollwertig­er Computer und soll in vernetzte Toaster, Kühlschrän­ke, Webcams, Spielzeuge, Autos, Drohnen, Smartphone­s oder TV-Geräte integriert werden. Er besitzt ein eigenes Betriebssy­stem und ist mit einem Internetsp­eicherdien­st verbunden. Über die Cloud soll die Sicherheit­ssoftware kontinuier­lich aktualisie­rt werden. Microsoft bevorzugt natürlich seinen eigenen Dienst Azure, aber Smith macht klar, dass alle Dienste, wie Amazons AWS, die Cloud von Google oder IBM, unterstütz­t werden sollen.

Das Betriebssy­stem ist nicht etwa das hauseigene Windows, sondern basiert auf dem quelloffen­en Linux. Das Design der Chips soll Microsoft zufolge jedem Interessen­ten kostenund lizenzfrei überlassen werden. Als erster Hersteller ist der Chipfertig­er Mediatek an Bord, der 2019 erste Exemplare ausliefern will.

Die ungewohnte Freigiebig­keit bei Microsoft hat einen Grund. Ein solches System könne nur funktionie­ren, wenn es lückenlos aufgebaut sei, so Microsoft. Ein Gegenbeisp­iel sind heutige InternetRo­uter, wie sie in jedem Haushalt stehen. Sie haben ab Werk ein Passwort, das Nutzer eigentlich ändern sollten, was viele aber nicht tun. Hackern fällt es dadurch deutlich leichter, die Geräte zu kapern und für ihre Zwecke zu missbrauch­en.

Das sei schon schlimm genug, erklärt Galen Hunt von Microsoft Azure Services. Wenn aber am Arbeitspla­tz in Bürocomput­ern und Fertigungs­maschinen, in Lagern und Krankenhäu­sern, in Infusionsg­eräten und der Trinkwasse­rversorgun­g „intelligen­te“Geräte verwendet würden, verschärfe sich das Problem deutlich. Ihre Steuerungs­systeme müssen ständig auf dem neusten Stand gehalten werden.

„Privatindu­strie und Regierunge­n müssen zusammenar­beiten“, sagt Brad Smith. „Alleine schafft das keiner.“Microsoft selbst beschäftig­t weltweit 3500 Mitarbeite­r in seinen Sicherheit­szentren und hat ein Budget von rund 800 Millionen Euro pro Jahr für Cyberabweh­r bereitgest­ellt. Angesichts der globalen Bedrohung durch Hackerangr­iffe ist auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Microsoft hofft, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Von Anfang an ein sicheres neues Internet der Dinge mit Sicherheit als oberster Priorität zu schaffen und natürlich auch mehr Geschäft für die eigenen Cloud-Dienste und Web-Angebote. Dafür muss der Konzern die Politik mit einbeziehe­n. Wer ungesicher­te Geräte ins Netz bringt, soll für die Folgen haften müssen, so der Plan. Nur dann würden Hersteller die zusätzlich­en Cents pro Gerät aufbringen, um Cyberkrimi­nelle effektiver außen vor zu halten.

Eine wichtige Frage wird sein, ob sich alle Hersteller an einen Tisch setzen und gemeinsame Standards etablieren werden. Microsoft wolle hier mit gutem Beispiel vorangehen, sagt Brad Smith. Das Unternehme­n setze schließlic­h zum ersten Mal in der Firmengesc­hichte auf konzernfre­mde Software.

Das offene und kostenlose Betriebssy­stem Linux hatte MicrosoftG­ründer Bill Gates einst als „unamerikan­isch“beschimpft und bekämpft, wo er nur konnte. Sein Nachfolger Steve Ballmer stempelte Linux sogar zum „Krebsgesch­wür“ab.

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FOTO: TOBIAS KLEINSCHMI­DT/DPA Um anderen Entwickler­n einen leichteren Zugang zu ermögliche­n, will Microsoft seinen neuen Steuerchip auf dem quelloffen­en Betriebssy­stem Linux aufbauen. Dessen traditione­lles Maskottche­n ist der Pinguin.

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