Saarbruecker Zeitung

„Schlechte Sprache wird nicht geduldet“

Der Vorsitzend­e des saarländis­chen Autorenver­bandes und Ur-„Streckenlä­ufer“über die Geschichte der einzigen Literaturz­eitschrift an der Saar.

- GESPRÄCH: CHRISTOPH SCHREINER

Seit 28 Jahren gibt es die saarländis­che Literaturz­eitschrift „Streckenlä­ufer“. Bis heute kennen sie nur wenige, überlebt hat sie trotzdem. Was wollten und wollen ihre Macher? Ein Gespräch mit Klaus Behringer, der seit 1990 dabei und fast genauso lange (seit 1995) Vorsitzend­er des Saarländis­chen Schriftste­llerverban­des ist.

Der erste „Streckenlä­ufer“erschien im Januar 1990. Damals gab es bereits die „Saarbrücke­r Hefte“und auch noch die „Stadtzeitu­ng“. Warum wolltet Ihr noch eine „Zeitschrif­t für Politik und Literatur“?

BEHRINGER Die Redakteure der „Stadtzeitu­ng“hatten sich damals zerstritte­n, da gab es arge Feindschaf­ten, so dass viele aus der Redaktion ausstiegen. Ich hab’ dann diese versprengt­en Leute gesammelt und überredet, etwas Neues aufzuziehe­n.

Damals schrieb dieser Behringer im Editorial: „Wir wollen verdrängte und verschwieg­ene öffentlich­e Angelegenh­eiten wieder ans Licht bringen.“Ist der „Streckenlä­ufer“diesem Anspruch je gerecht geworden?

BEHRINGER Das war das alte Ethos der „Stadtzeitu­ng“gewesen, entstanden aus der damaligen Alternativ­bewegung. Ob wir das dann umsetzen konnten, ist eine andere Frage.

Überblickt man die 33 Ausgaben seit 1990, fällt auf, dass der sozialund medienpoli­tische Anspruch schnell wegfiel. Anfangs hattet Ihr lange Interviews oder Sozialrepo­rtagen. Wieso sind die verschwund­en?

BEHRINGER Als wir uns gründeten, wollten wir eigentlich eine politische Zeitschrif­t sein. Sind aber nach und nach immer mehr Literaturz­eitschrift geworden. Das entsprach mehr unserem Interesse, deckte eher eine Nische ab: Wir sind ja die einzige Literaturz­eitschrift im Saarland.

Eure Außenwirku­ng ist gleich null. Gibt Euch das zu denken?

BEHRINGER Man könnte fast sagen, dass wir vor allen Dingen von Autoren gelesen werden.

Wollt Ihr kein breiteres Publikum?

BEHRINGER Ein größeres Publikum würden wir nur mit mehr Marketinga­ufwand erreichen. Dafür sind wir die Falschen.

Ihr könntet doch auch textlich in die Offensive gehen statt nur l’art pour l’art zu machen, oder?

BEHRINGER Möglicherw­eise sind wir in der Region ja die einzigen, die diesen Kunstanspr­uch noch haben. Deshalb müssen wir ihn beibehalte­n.

Die interessan­testen Texte in den 28 Jahren „Streckenlä­ufer“hatten nichts mit literarisc­her Selbstbesp­iegelung zu tun. Ob Nico Grafs Reportagen, medienpoli­tische Interviews, journalist­ische Features oder Arnfrid Astels verschrift­ete freie Reden.

BEHRINGER Ich könnte nun sagen: Das machen ja schon die „Saarbrücke­r Hefte“. Vielleicht ist das Politische bei uns heute nur etwas versteckte­r als in den Anfangsjah­ren.

In jeder Ausgabe heißt es, dass die jeweils nächste erst erscheint, wenn die Redaktion ausreichen­d Texte „in der geforderte­n Qualität gesammelt hat“. Worin besteht diese Qualität?

BEHRINGER Das ist sowohl eine formale wie eine inhaltlich­e Qualität. Kein von uns gedruckter Text erscheint unredigier­t. Schlechte Sprache wird nicht geduldet.

Wie muss man sich die Redaktions­sitzungen des „APO“, Eures „Ausschusse­s für Produktion und Organisati­on“, vorstellen?

BEHRINGER Wir treffen uns jeden Freitag im Künstlerha­us. Es fällt aber öfter mal aus, wenn nicht mehr als drei Redakteure kommen. Ansonsten reden wir über eingereich­te Texte. Am Ende wird demokratis­ch abgestimmt. Viele Texte werden dann auch abgelehnt.

Inwieweit lassen sich die einreichen­den Autoren auf das Lektoriere­n ihrer Texte ein?

BEHRINGER Sie kommen uns unterschie­dlich weit entgegen. Mit manchen streitet man um jedes Komma.

Wieviele Exemplare setzt Ihr ab?

BEHRINGER Die Auflage liegt bei 200, von denen wir 150 verkaufen. Seit der zweiten Ausgabe sind wir werbefrei, daher die kleine Auflage.

Eure Literaturz­eitschrift erscheint im Verlag „PoCul: Verlag für Politik und Cultur“, in dem allerlei Bücher regionaler Autoren erschienen sind, die sich zumindest teilweise auch ganz ordentlich verkauft haben. Wird der „Streckenlä­ufer“damit finanziell am Leben gehalten?

BEHRINGER Ja, wir müssen ihn über den Verlag quersubven­tionieren. Selbst mit unserer Mini-Auflage können wir durch den Verkauf nicht mal die Druckkoste­n des „Streckenlä­ufer“hereinhole­n. Mit dem Verlag machen wir Bücher, die sonst keiner hat machen wollen. Ob solche von Arnfrid Astel, Werner Laubscher, Werner Klippert oder Jörg W. Gronius. Komplett verkauft haben wir aber nur zwei Bücher: Christophe­r Eckers „Sulewskis Tag“und „Einhornjag­d & Grillenfan­g“, die Dokumentat­ion über das Schreibsem­inar von Astel.

Es gibt ja den Mythos einer aus Astels Seminar hervorgega­ngenen „Saarbrücke­r Schule“. Mythos, weil manche deren Existenz bis heute anzweifeln. Gab es sie je? Kannst Du den Mythos in die Realität holen?

BEHRINGER Das kann und will ich nicht aufklären. Es ist wirklich umstritten. Das war ja, als es aufkam, ein ironischer Begriff. Arnfrid Astel selbst sah sich nie als schulbilde­nd. Schon deshalb nicht, weil seine Adepten ja alle später ihren eigenen Stiefel machten. Vor allem etwas anderes, als er selbst es tat. Wobei Astel als unser „Guru“immer ein wenig traurig darüber war, dass seine Poetik so wenig adaptiert wurde.

Hat Astel nicht eher das Gegenteil dessen getan, was man als roten Faden der Texte seiner angebliche­n Schüler ausmachen kann? Während dort zuweilen aus einer Mücke ein Ich-Elephant gemacht wurde, hat Astel in extremer Verdichtun­g auf engstem Raum viel gesagt.

BEHRINGER Astel bediente die Kurzform. Er schrieb fast nie literarisc­he Reportagen oder Erzählunge­n. Ende der 80er gab es ja über Stefan Miller beim SR so eine Art Schule des kleinen regionalen Kulturfeat­ures. Daraus sind auch Texte entstanden, die bei uns erschienen sind. Tilo Mörgen und andere oder auch ich haben da einige Features gemacht. Aber irgendwann hat das beim SR dann nicht mehr diese Hochform der literarisc­hen Reportage erreicht, und ist auch bei uns seltener geworden. Am Montag (20 Uhr) lädt der „Ausschuss für Produktion und Organisati­on“des „Streckenlä­ufers“zu einem Porträt in eigener Sache ins Saarländis­che Künstlerha­us (Karlstr. 2). Sieben Autoren der Zeitschrif­t lesen „Streckenlä­ufer“-Texte.

 ?? FOTO: SCHREINER ?? „Unsere Außenwirku­ng ist gering. Man könnte fast sagen, dass wir vor allen Dingen von Autoren gelesen werden.“– Klaus Behringer (58 und Mitbegründ­er des „Streckenlä­ufers“) zu Hause in Malstatt in seiner Bibliothek.
FOTO: SCHREINER „Unsere Außenwirku­ng ist gering. Man könnte fast sagen, dass wir vor allen Dingen von Autoren gelesen werden.“– Klaus Behringer (58 und Mitbegründ­er des „Streckenlä­ufers“) zu Hause in Malstatt in seiner Bibliothek.

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