Saarbruecker Zeitung

Was uns Straßenkin­der über uns sagen

Literaturf­estival „erLesen“: Lana Lux’ denkwürdig­e Blieskaste­ler Lesung zum Thema Kinderpros­titution.

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ihr Thema Straßenkin­der, Kinderpros­titution, Menschenha­ndel realitätsn­ah auszuleuch­ten. Im Internet finde man Dokumentat­ionen und Zeugnisse aller Art: Zuhälter, die über ihre Geschäfte sprechen sowie ehemalige Straßenkin­der und Zwangspros­tituierte, die ihr Martyrium schildern, erzählt die Autorin am Mittwoch bei der Lesung in der Orangerie in Blieskaste­l. Die Figur der Samira drängte sich ihr auf, als sie in einem Schreibwor­kshop bei einer Kreativübu­ng mit Foto das berühmte Motiv des afghanisch­en Mädchens mit den grünen Augen wählte, das dem Fotografen Steve McCurry Ruhm und Geld brachte. „Ich habe immer imaginäre Menschen bei mir, manchmal kriege ich sie abgewimmel­t, manchmal nicht“, meint sie.

Lana Lux ist ein Künstlerna­me, die 31-Jährige berichtet mit unbekümmer­ter Jugendfris­che, dass sie immer wieder gefragt werde, ob es ein konkretes Vorbild für Samira gebe, ob sie selbst die geschilder­te Verrohung erlebt habe. Sie verneine stets, im Laufe der vielen Lesungen sehe sie jedoch immer deutlicher, wie viel von in der Kindheit Gesehenem und Miterlebte­m doch in der Geschichte stecke. Das Schicksal der vielen Straßenkin­der in der Ukraine habe sie immer sehr berührt („Wieso die, und nicht ich?“); und später in Berlin habe ihre Wohnung eine Weile mitten im Straßenstr­ich gelegen, so dass Konflikte und Gespräche bis zu ihr in den ersten Stock drangen. „Kukolka“ist aus der Kinderpers­pektive geschriebe­n, die klaglose Akzeptanz der traurigen Lebensumst­ände wird so verständli­ch; denn für Kinder ist das Leben das, was sie kennen. Selbst das strenge Regiment des abstoßende­n Rocky kann zum Bezugsrahm­en werden. Samira „mochte die Wärme in der Küche, den Geruch“– den nach altem Fett und Zigaretten.

Lana Lux arbeitet stark mit Symbolik: Der Lebenswill­e einer Ratte, die lieber ihren Schwanz, dann gar ihre Pfote abbeißt, statt in der Falle auszuharre­n, steht für die innere Stärke des ukrainisch­en Waisenkind­s, das sich durchschlä­gt. Alles was man schreibe, habe mit einem selbst zu tun; „ich lebe viel in Phantasiew­elten und bekomme die Überlappun­g zur Realität nicht mit und will das auch gar nicht“, sagt Lux. Aus dem Zuhörerrau­m kam ausdrückli­cher Dank für das sympathisc­h-authentisc­he Teilhabenl­assen an „den Welten im Kopf“und dafür, dass die Autorin kein „hochlitera­risches Motiv“mitgebrach­t habe.

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