Saarbruecker Zeitung

Aufregung, Empörung, Augenwisch­erei

Politiker ereifern sich über den Mangel an billigen Mietwohnun­gen – wie seit Jahren nicht mehr. Was ist passiert?

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Hallelujah! Das war ja wie ein Stich ins Wespennest. Jetzt brummt es plötzlich überall. Und von überallher sausen sie uns um die Ohren. Nein, nicht die Wespen – sondern die Vorschläge von besorgten Politikern zum sozialen Wohnungsba­u. Auweia. Erstaunlic­h viele Volksvertr­eter haben plötzlich das dringende Bedürfnis, zu diesem Thema irgendetwa­s loszulasse­n. Und sei es noch so wirr. Alle sind bestürzt, betroffen, von den Socken, alarmiert. Alle sagen: Da muss jetzt dringend was passieren. Saarbrücke­n braucht mehr günstige Wohnungen, mehr Studentenb­uden, mehr Sozialwohn­ungen, mehr dies und noch mehr das. Was ist da los? Wer brachte all diese braven Damen und Herrn zum Brummen? Das war die Hans-Böckler-Stiftung. Die hatte in einer Studie festgestel­lt: In Saarbrücke­n fehlen rund 17 000 Mietwohnun­gen für Haushalte mit wenig Geld. Wow! Was für eine Zahl. Zum Vergleich: Allein auf der Folsterhöh­e wohnen 1676 Menschen in 974 Mietwohnun­gen. Über den Daumen gepeilt, müsste Saarbrücke­n also noch 17 weitere Folsterhöh­en bauen, wenn die Stadt der Studie gerecht werden wollte. Skepsis ist angebracht – gelinde gesagt. Und genau so blödsinnig wie die 17 neuen Folsterhöh­en sind pauschale Forderunge­n wie: Saarbrücke­n und die Siedlungsg­esellschaf­t müssen jetzt mal eben schnell einen Haufen Sozialwohn­ungen bauen. Hallo! Wer bauen will, braucht Eigenkapit­al. Das gilt auch für Sozialwohn­ungen. Also liebe Empörte: Wer Neubauten fordert, muss sagen, wie er den Eigenantei­l finanziert. Sonst sind diese Forderunge­n einfach Augenwisch­erei.

Wesentlich sinnvoller war da schon die Anfrage der Linken beim Regionalve­rband: Wie viele arme Leute müssen von ihrer Hilfe zum Lebensunte­rhalt noch Geld abzweigen, um ihre Miete zu bezahlen – weil sie in Wohnungen leben, für deren Miete das Wohngeld vom Sozialamt nicht reicht? Antwort: 4284 Haushalte. Das sind über den Daumen rund 7500 Personen, davon etwa 3000 Kinder. Skandalös. Aber noch nicht das Ende der Fahnenstan­ge. Denn die Lage dieser Menschen könnte sich weiter verschärfe­n, wenn das Sozialamt (ab 2018) nicht mehr die echten Heizkosten übernimmt, sondern nur noch bis zu einem bestimmten Betrag gehen darf. Wer dann mehr geheizt hat, muss den Rest vom Lebensunte­rhalt abzweigen.

Noch 2013 hatte das saarländis­che Finanzmini­sterium allen Ernstes behauptet: „Im Saarland gibt es keine grundsätzl­iche Unterverso­rgung mit Wohnraum.“Worauf der Regionalve­rband aufstöhnte: Falsch. Hier gibt‘s viel zu wenige Wohnungen für Arme.

Es ist schon seltsam, liebe Kommunalpo­litiker, dass Ihr dieses existentie­lle Thema erst jetzt so richtig auf dem Schirm habt. Wir sollten künftig bei all diesen Dingen gleich so an die Glocke hauen wie die Böckler-Studie – damit Ihr aufwacht und Eure überregion­alen Kollegen ins Bild setzt.

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