Saarbruecker Zeitung

„Einfache Frauen, die habe ich richtig drauf“

Am Donnerstag spielt „es Hilde“Karl Marx’ Geliebte im SR-Fernsehen. Was sie sonst über die Linken, die „MeToo“-Debatte und den Saar-„Tatort“denkt.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN OLIVER SCHWAMBACH UND FRAUKE SCHOLL

Vor vier Jahren sagte Alice Hoffmann dem Saarland Adieu. Am Donnerstag ist sie wieder da – zumindest auf dem Bildschirm. Im Dokudrama „Lenchen Demuth“(Donnerstag, 20.15 Uhr im SR) spielt die 66-Jährige passend zum Karl-MarxJahr das Dienstmädc­hen und die Geliebte des Philosophe­n. Doch was hat Lenchen eigentlich mit „Hilde Becker“gemeinsam? Das verriet die Schauspiel­erin in ihrer Wohnung in Mainz. Ein Gespräch, in dem man nach jahrzehnte­langer journalist­ischer Begleitung beim Du blieb.

Wenn Du hättest wählen können, hättest Du lieber Lenchen Demuth oder Rosa Luxemburg gespielt?

HOFFMANN Schwere Frage. Beide sind Herausford­erungen, aber Lenchen Demuth war einfacher, weil sie mehr dem entspricht, was ich ja schon all’ die Jahre gespielt habe. Sie ist natürlich nicht „Hilde Becker“, aber sie spricht auch Dialekt, ist eine einfache Frau, die habe ich richtig drauf. Rosa Luxemburg könnte ich auch spielen, aber da müsste ich mehr dran arbeiten.

Aber identifizi­eren kannst Du Dich auch mit ihr, vom politische­n, linken Standpunkt her?

HOFFMANN Ja, das hat sich ja rumgesproc­hen…

Bist Du eigentlich bei den Linken?

HOFFMANN Nein. Ich war Mitglied bei der Organisati­on, aus der die heutige MLPD (Marxistisc­h-Leninistis­che Partei Deutschlan­ds) hervorging, von ’72 bis ’76. Ich bin aber ausgetrete­n, als ich durchschau­t habe, wie das Ganze funktionie­rt, Parteien, Vereine, Kirche, Staat. Überall, wo Menschen sich zusammentu­n, läuft ein bestimmtes Schema ab, wodurch mir bewusst wurde, das kommt für mich nicht in Frage.

Aber das Herz schlägt immer noch links?

HOFFMANN Links und rechts sind für mich blöde Begriffe. Man kann auch sagen, mein Herz schlägt für das Urchristen­tum. Kommunismu­s und Urchristen­tum sind für mich in etwa dasselbe. Es bedeutet, dass jeder für jeden da ist, man einander achtet, man versucht, die Kluft zwischen Arm und Reich möglichst klein zu halten. Es ist soziales Denken, das mich prägt, nicht der Begriff „Links“oder ein Parteienpr­ofil.

Dennoch bist Du mehrfach für die Linksparte­i aufgetrete­n.

HOFFMANN Ja, weil es im Moment für mich die einzige Partei ist, die überhaupt für soziale Gerechtigk­eit eintritt. Kurz vor der Wahl tun das natürlich alle. Aber die Linken sind die einzigen, die sich explizit gegen Krieg einsetzen, gegen die Beteiligun­g deutscher Soldaten in Weißder-Geier-wo.

Welche Rolle spielt dabei Deine Freundscha­ft zu Oskar Lafontaine?

HOFFMANN Das spielt eine Rolle. Früher konnte ich ihn allerdings nicht leiden, in den 70ern, an der Uni in Saarbrücke­n. Gerhard Bungert, mit dem ich damals zusammen war, hat immer gesagt, ‚der ist so ehrgeizig, der wird mal Bundeskanz­ler’. Oskar war damals übrigens viel mit Ottmar Schreiner unterwegs. Ach, der war ja wie für mich gebacken, wir waren jung, es ging auch um Sex. Aber er war leider in der falschen Partei. Einmal hat Oskar jedenfalls an einem Abend auf zwei Veranstalt­ungen erst gegen und dann für die Nato gesprochen. Er streitet es heute ab, aber da war er für mich unten durch. Anfang der 2000er kam er dann zu einer Premiere von mir im „Blauen Hirsch“, und ich merkte, das Gesicht ist verändert. Der Ehrgeiz, dieses Macht-Ding, war raus. Ich habe ihn darauf angesproch­en und er hat mir so glaubhaft erzählt, wie sich sein Leben und seine Haltung verändert haben, durch das Attentat und durch die Politik Gerhard Schröders, von Kosovo-Krieg bis Hartz-IV-Gesetze. Er hatte sein Leben an den wirklichen Werten vorbei gelebt, sagte er. Dadurch ist er für mich wieder glaubwürdi­g geworden.

Würdest Du auch noch für die Linke auftreten, wenn Lafontaine nicht mehr dabei ist?

HOFFMANN Das kommt auf die Politik an, die die machen.

Wie sind die Reaktionen auf solches politische­s Engagement, hat Dir das Nachteile gebracht?

HOFFMANN Ja, es gab etwa beim Saarländis­chen Rundfunk ein Verbot, mich zu beschäftig­en. Das war nach einem Wahlkampf-Auftritt in Saarbrücke­n. Es hieß zwar, das galt nur während des Wahlkampfs, aber mir war klar, dass ich da nichts mehr zu erwarten habe. Das war letztlich auch der Grund, warum ich 2014 aus dem Saarland weggezogen bin. Erfahren habe ich von dem Verbot übrigens durch einen Redakteur des SWR.

Aber beim SWR, für den Du heute aktiv bist, nimmt man Dir Dein Engagement nicht krumm?

HOFFMANN Nee, denen ist das wurscht. Beim SWR läuft es super. Als ich im Quiz „Meister des Alltags“angefangen habe, dachte ich erst, das war’s jetzt mit Rollen. Aber dann hat das eine Beliebthei­t bekommen, und seitdem sind auch meine Kabarett-Termine wieder voll.

Aber es ist Dir ein Herzensanl­iegen, die politische Positionie­rung?

HOFFMANN Ja, aber es geht mir nicht nur darum, Parolen zu schwingen. Als ich anfing in der kommunisti­schen Organisati­on, dachte ich noch, ich müsse die ganze Welt glücklich machen. Dazu brauchte man natürlich eine Partei. Später habe ich verstanden, dass das Unsinn ist. Ich kann nur in meinem Umfeld was verändern. Und das tue ich, mache viel für die Menschen in meiner Umgebung. Ich habe zum Beispiel in den 80ern ein Roma-Mädchen bei mir aufgenomme­n, das abgeschobe­n werden sollte. Sie blieb dann bei mir.

Als Kämpferin bist Du ganz anders als die schlichte „Hilde Becker“. Hast Du die Rolle gerne gespielt?

HOFFMANN Ja, sehr. Ich sehe da nicht nur eine doofe Frau, ich sehe das gesamte Ding. Und das war für mich eine hervorrage­nde Satire auf diese typische Familienst­ruktur, die es überall gibt, wo Mama zu Hause bleibt und im wahrsten Sinne des Wortes „beschränkt“ist, aber in diesem kleinen Reich die Machthaber­in ist.

Gerd Dudenhöffe­r haderte mit den Vorwürfen, seine Figur sei zu stark imitatoris­ch und zu wenig satirisch überzeichn­et.

HOFFMANN In der Serie fand ich das nicht. Da war „Heinz“mal sympathisc­h und mal doof. Man konnte lachen. Aber in seinem Bühnenprog­ramm hat er die Figur verändert. Ekel Alfred hat ihn wohl inspiriert, oder er dachte irgendwie, er muss mehr rechts werden. Ich habe selbst erlebt, dass dann Rechte im Publikum sitzen, die sich bestätigt fühlen, wenn er sagt, da in Afrika haben die Neger doch Auslauf. Ich habe das Gerd gesagt und er war überrascht. Einmal ist er dann an den Bühnenrand gegangen und hat wütend gesagt: ‚Ihr wisst überhaupt nicht, worüber ihr da lacht’. Aber da haben die noch mehr gelacht.

Braucht auch das Kabarett da klare Grenzen?

HOFFMANN Ich möchte keine Zweifel daran lassen, dass es Satire ist, was ich mache. Spätestens am Schluss, wenn ich auf der Bühne meinen berühmten Striptease mache und zu Alice werde, verstehen die, das war nur gespielt. Ich finde diese Demaskieru­ng sehr wichtig.

Ist das auch für Dich wichtig, um aus der Rolle rauszufind­en?

HOFFMANN Ich verschmelz­e nie so ganz mit meiner Rolle, dass ich erst

wieder rausfinden muss. Weil ich immer nebenher auch andere Dinge getan habe. Mein Leben war nie nur aufs Theater gerichtet. Ich habe Familie, das Engagement, politisch oder im Privaten. Die letzten Jahre war ich zum Beispiel viel mit Dementenbe­treuung und in der Sterbebegl­eitung aktiv. Und seit dem Tod einer Freundin 1991 halte ich auch Trauerrede­n bei Beerdigung­en, wenn die Leute keine kirchliche Beerdigung wollen. Ich habe selbst einen großen Erfahrungs­schatz mit Sterben, Tod und Trauer, weil so viele Angehörige, mein Lebensgefä­hrte und viele Bekannte gestorben sind, die ich begleitet habe.

Du hast viel Erfahrung auf der Bühne und auch mit Fernsehpro­duktionen. Wie siehst Du die „MeToo“-Debatte?

HOFFMANN Im Theater finde ich das schwierig. Da muss man sich anfassen und mal küssen, und dann soll man sagen „MeToo“? Es ist eben ein Milieu, in dem man sehr körperlich miteinande­r ist. Ich habe oft auch beobachtet, dass Frauen kokettiere­n und sich an den Regisseur ranmachen, wenn sie eine Rolle haben wollen. Anderersei­ts ist da das männliche Verhalten, das über die Jahre gewachsen ist, das Frauen zum Objekt macht. Da wird es höchste Zeit, dass Männer verstehen, dass es so nicht geht. Aber trotzdem ist das schwierig, wie weit darf man denn dann beim Flirten noch gehen?

Aber es ist doch ein Unterschie­d, ob man auf der Bühne körperlich sein muss, oder ob der Regisseur das jenseits der Bühne verlangt.

HOFFMANN Ich hatte mal einen Intendante­n, der wollte, dass ich eine Nacktszene spiele, ich war noch ganz jung. Aber das wollte ich nicht, und in dem Stück („Wildwechse­l“von Kroetz) gab es auch keinen Grund dafür. Und dann wurde der Regisseur zudringlic­h, und dann habe ich ihm auf die Finger gehauen. Ich habe mich gewehrt. Ich galt dann als schwierig, bekam später einige Rollen nicht. Aber man kann sich wehren, und man muss das selbst tun. Das müssen Frauen lernen. Ich finde es immer wieder eine Schwäche von Frauen, sich hinter Organisati­onen oder Kampagnen zu verstecken.

„Oskar war damals viel mit Ottmar Schreiner unterwegs. Ach, der war wie für mich gebacken,

wir waren jung, es ging auch um Sex.“

Alice Hoffmann

über die 70er in Saarbrücke­n

Jetzt bist Du schon seit Jahren aus dem Saarland weg. Wie schaust du heute auf das Saarland?

HOFFMANN Ich habe gerne dort gelebt, mit der Nähe zu Frankreich und den Möglichkei­ten, die Freizeit zu genießen. Beruflich war es immer sehr schwer. Das hängt damit zusammen, dass die Leute dort insgesamt weniger Selbstbewu­sstsein haben, etwas Neues zu versuchen. Das fand ich schon immer schade.

Auch die Sekretärin im Saar-„Tatort“war für Dich eine wichtige Rolle. Wie siehst Du den heute?

HOFFMANN Ich habe gerne mitgespiel­t und ihn auch gerne geguckt. Aber in den letzten Jahren hatte ich so viel Tod und Sterben bei mir im Umfeld, da vergeht einem die Lust, Tod auch im Fernsehen zu sehen. Aber eigentlich mochte ich ihn gerne, und habe mich immer geärgert, wenn es unlogisch wurde. Oder als ich den Versuch gesehen habe, Comedy mit dem wunderbare­n Devid Striesow zu machen. Das war einfach schlecht geschriebe­n. Aber es wurde besser im Laufe der Zeit. Und das vorherige Duo, Gregor Weber und Maximilian Brückner, fand ich als Mischung Saarländer gegen Bayer super. Aber das wurde ja schnell wieder plattgemac­ht.

Jetzt wird ein neuer Saar-Kommissar gesucht. Wen würdest Du vorschlage­n?

HOFFMANN Gregor Weber hat so tolle Krimis geschriebe­n. Ich träume immer noch davon, dass die als Saar-„Tatorte“verfilmt werden – mit ihm als Kommissar. Oder eine Art Miss Marple fürs Saarland, mit so einer Alten à la „Hilde“, von der dann alle denken, die ist doof, und ihr dann brav alles erzählen. Und damit löst sie dann den Fall.

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FOTO: PRIVAT Alice Hoffmann ohne Maske: Die Schauspiel­erin und Kabarettis­tin hat sich immer auch politisch und sozial engagiert.
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FOTO: SCHMIDT Hoffmann Ende der 80er im Solo-Stück „Die Marzipanfr­au“, das Arnfried Astel für sie schrieb.
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FOTO: SWR/WDR/H. HOHL Ihre bekanntest­e Rolle: Alice Hoffmann als „Hilde“mit Gerd Dudenhöffe­r in „Familie Heinz Becker“.

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