Saarbruecker Zeitung

Schlimme Zustände in Frankreich­s Gefängniss­en

Die Justizmini­sterin will die Probleme mit einer neuen Reform lösen.

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PARIS Drei graue Metallbett­en übereinand­er gestapelt, auf dem untersten sitzt ein Mann, zwei andere auf engstem Raum daneben. So sehen die seltenen Bilder aus, die aus den Gefängnisz­ellen von Fresnes nach draußen dringen. Die Haftanstal­t, eine der größten in Frankreich, ist mit mehr als 2400 Gefangenen auf 1200 Plätzen hoffnungsl­os überbelegt. „Die Gefangenen urinieren in Flaschen, die sie dann über die Mauern schmeißen“, schreibt die unabhängig­e Kontrollst­elle von Gefängniss­en zum Mangel an Toiletten. Gleichzeit­ig ist das Gebäude aus dem 19. Jahrhunder­t, das nur rund zehn Kilometer von der Pariser Stadtgrenz­e entfernt liegt, von Ungeziefer befallen.

Fresnes, wo sich drei Männer eine Neun-Quadratmet­er-Zelle teilen, ist ein besonders eklatantes Beispiel für die Überfüllun­g französisc­her Gefängniss­e. Landesweit sitzen derzeit 70 367 Häftlinge ein, wie die Leitung der Gefängnisv­erwaltunge­n mitteilte. Ein neuer Rekord. Auf 100 Plätze kommen durchschni­ttlich 118 Gefangene – in Deutschlan­d sind es 82. Frankreich wird wegen der Überbelegu­ng seiner Gefängniss­e regelmäßig vom Europarat kritisiert. „Die Haftbeding­ungen bedeuten eine unmenschli­che oder entwürdige­nde Behandlung nach Artikel drei der europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion“, bemerkt die Vorsitzend­e der unabhängig­en Kontrollst­elle, Adeline Hazan, zu den Zuständen in Fresnes.

Auf Artikel drei berufen sich auch mehrere Anwälte von Gefangenen, die in Fresnes einsitzen, und die sich im Dezember an den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte wandten. Die Straßburge­r Richter befassen sich laut der Internatio­nalen Beobachtun­gsstelle für Gefängniss­e (OIP) derzeit mit 40 Klagen gegen fünf französisc­he

Farhad Khosrokhav­ar Haftanstal­ten. 34 Gefängniss­e wurden bereits von der französisc­hen Justiz wegen unwürdiger Haftbeding­ungen verurteilt. Ende März wurden Ermittlung­sverfahren gegen mehrere Mitarbeite­r in Fresnes, darunter einen der Direktoren, wegen Korruption, Geldwäsche und Komplizens­chaft eingeleite­t. Sie sollen Gefangenen gegen Geld mehr Möglichkei­ten zum Duschen gegeben oder ihnen Handys besorgt haben.

Am 3. März besuchte Emmanuel Macron das Gefängnis von Fresnes. Vier Stunden lang blieb der Präsident ohne Begleitung von Kameras und Journalist­en. Er sprach auch mit den Aufsehern, die mit ihrem Streik im Januar Schlagzeil­en gemacht hatten. Sie wollten damals nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Leute, um vor allem die radikalisi­erten Häftlinge besser bewachen zu können.

„Das Gefängnis begünstigt die Radikalisi­erung“, warnt der Soziologe Farhad Khosrokhav­ar. Er fordert wie die Gewerkscha­ften mehr Personal, um solche Entwicklun­gen genau zu beobachten und darauf zu reagieren. Gleichzeit­ig kritisiert der Spezialist die Zustände in den Haftanstal­ten: „Ein annehmbare­s Gefängnis, wo die Gefangenen menschlich behandelt werden, würde zu deutlich weniger Radikalisi­erung führen“, schreibt er in „Le Monde“.

Nun präsentier­te Ministerin Nicole Belloubet eine Justizrefo­rm, die die Haftanstal­ten entlasten soll. 1,6 Milliarden Euro sollen ausgegeben werden, vor allem um 7000 neue Gefängnisp­lätze zu schaffen. Außerdem sollen die Arbeit der völlig überforder­ten Justiz erleichter­t und Verfahren beschleuni­gt werden. Geplant sind mehr alternativ­e Strafen wie Fußfesseln und gemeinnütz­ige Arbeit. Strafen unter einem Monat, die immerhin 10 000 Verurteilu­ngen pro Jahr ausmachen, sollen überhaupt nicht mehr verhängt werden.

Gerade für die gemeinnütz­ige Arbeit fehlt es allerdings den Kommunen an Geld. Die Justizrefo­rm könnte deshalb dasselbe Schicksal ereilen wie ihre Vorgängeri­n 2013. Schon damals wollte Justizmini­sterin Christiane Taubira die Gefängniss­e entlasten. Doch die Reform verlief im Sande.

„Das Gefängnis begünstigt die Radikalisi­erung“

Soziologe

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