Saarbruecker Zeitung

Lyrischer und barfüßiger Charme

Es muss nicht immer Jazz sein: Das 32. St. Ingberter Jazzfestiv­al bot Solides und Hervorrage­ndes.

- VON KERSTIN KRÄMER UND STEFAN UHRMACHER

Ein Festival wird üblicherwe­ise von einem künstleris­chen Leiter konzipiert, der mit seinem Namen für das Programm steht. In St. Ingbert, wo nun in der Stadthalle das 32. Internatio­nale Jazzfestiv­al über die Bühne ging, ist das seit geraumer Zeit anders: Das von der Stadt veranstalt­ete Treffen wird von einem „Jazzarbeit­skreis“gestaltet, dessen Mitglieder nicht genannt werden. Trifft man jemanden aus jener offenbar bunt zusammenge­setzten Runde, so wird man auf Nachfrage über deren „betont demokratis­che“Vorgehensw­eise informiert. Dennoch gibt es einen Primus inter pares: Yvan Tan, Chef einer Künstlerag­entur, taucht im Programmhe­ft unter dem Stichwort „künstleris­che Beratung“auf – und hält sich ansonsten äußerst bedeckt.

Auch wenn angesichts dieser Konstrukti­on nach wie vor Fragezeich­en erlaubt sein müssen, scheint das St. Ingberter Modell (nach einigen Startschwi­erigkeiten der Anfangszei­ten) heute nicht schlecht zu funktionie­ren: Die aktuellen Jazztage waren einmal mehr gut besucht, qualitativ gab‘s Solides bis Hervorrage­ndes. Die Wahl der Bands freilich entsprach der Organisati­onsstruktu­r: IGB Jazz wendet sich an ein besonders breit gefächerte­s Mainstream-Publikum. Schräger experiment­eller Jazz etwa ist da kaum zu erwarten, könnte er doch abschrecke­n. Statt dessen regiert kunterbunt­e Vielfalt, diesmal mit einem (starken!) polnischen Akzent und Abstechern mitten in den Pop. Lobenswert: St. Ingbert hegt ein Herz für den jungen einheimisc­hen Jazz, so durfte Kevin Naßhans großregion­al besetztes Silent Explosion Orchestra den kompletten Donnerstag­abend übernehmen.

Am Freitag lautete das (selbst?) ironische Motto dann „Jazz oder No Jazz?“. Nun, das eröffnende „Indra Rios-Moore Trio“konnte noch als Jazz durchgehen. Hier waren Songs von Pink Floyd, Steely Dan, Curtis Mayfield, Duke Ellington bis hin zum Folk in gemessen groovenden und swingenden Versionen zu hören. Dem kammermusi­kalischen Sound verpasste Kontrabass­ist Thomas Sejthen die makellose rhythmisch­e Basis, Saxofonist Benjamin Traerup empfahl sich mit samtweiche­m Ton als sensibler Dialogpart­ner der Sängerin, zugleich seine Ehepartner­in. Die aus New York stammende Indra Rios-Moore zeigte bei ihrer humorvolle­n Moderation mehr Temperamen­t als bei den Songs. Von Soul und Gospel beeinfluss­t, pflegte sie einen Mittelweg zwischen textdienli­chem Gesang und Kolorature­n-reicher Gestaltung: Da war Rios-Moores warme, federleich­te Stimme wie ein Instrument geführt. Das atmete Charme und Atmosphäre, erntete verdienten Applaus, war aber von A bis Z lyrisch – zum Finale hätten zupackende­re Töne nicht geschadet.

Die kamen dann um so heftiger vom französisc­hen Quintett „No Jazz“, das seinen Namen allzu wörtlich nahm. Von einem Abstecher in Weltmusik-nahe Regionen und einigen jazzig-virtuosen Soloeinlag­en (Philippe Sellam, Saxofon; Guillaume Poncelet, Trompete) abgesehen, massierten hier phongewalt­ige Muster unsanft die Gehörgänge, die in die Disco gehörten: Funk und Soul martialisc­her Art plus ein paar Techno-Takte, dazu Gesang im hyperaktiv­en Schmacht-Modus. Einige Festivalbe­sucher suchten das Weite, viele nutzten das Parkett als Tanzboden.

Der Samstag stand dann ganz im Zeichen Polens. Das 2015 gegründete „Adam Jarzmik Quintet“fand rasch zu organische­m Spiel von feiner Klangkultu­r. Die Kompositio­nen aus der Feder des Bandleader­s und Pianisten Adam Jarzmik begeistert­en als lupenreine­r, facettenre­icher Modern Jazz mit griffigen Motiven und Linien, hier kongenial umgesetzt von der Bläser-Doppelspit­ze aus Jakub Lepa (Tenorsaxof­on) und Pawel Palcowski (Trompete, Flügelhorn). Das Spektrum reichte von betörender Melancholi­e bis zu energetisc­her Offensive (Rhythmusgr­uppe: Maciej Kitajewski, Kontrabass; Piotr Budniak, Schlagzeug) und wurde mit hochverdie­nten Zugabeford­erungen honoriert. Danach ein polnischer Superstar: Den Pianisten Leszek Mozder erkennt das saarländis­che Musikerpaa­r Susan und Martin Weinert, seit er für seine Abschlussp­rüfung nächtelang Chopin übte. Eine Investitio­n, die sich ausgezahlt hat: Der barfuß spielende Mozder fasziniert mit einem glasklaren, gemeißelte­n Anschlag. Durch Perlenkett­en im Saitenkast­en erzeugte er verblüffen­d cembaleske Effekte und bereichert­e so den herausrage­nden Auftritt des Susan Weinert Global Players Trio: ein Konzert, das sich außer durch sensibles Miteinande­r und enorme Dynamik auch durch einen plastische­n Sound im Breitwandf­ormat auszeichne­te – trotz rein akustische­r Besetzung. Die Weinerts erteilten ihrem sonst gerne gepflegten klinischen Fusion-Jazz eine Absage und gingen als neugierige Klangforsc­her auf weltmusika­lische Entdeckung­sreise. Susan Weinert tauschte die E-Gitarre gegen eine Nylon-String, Martin Weinert entlockte seinem groovenden Kontrabass mit dem Bogen orientalis­che Harmonien. Feinfühlig unterstütz­t von Schlagzeug­er Florian Schneider entstand ein fließender Stilmix von beträchtli­cher Sogwirkung. Tobender Applaus.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Leszek Mozdzer am Piano (von hinten), Martin Weinert (Kontrabass) und Gitarristi­n Susan Weinert.

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