Saarbruecker Zeitung

Die Revolution (fr)isst ihre Väter

Ein Datum als Gelegenhei­t, das Kapital zu mehren: 200 Jahre nach dem Geburtstag von Karl Marx treibt das Gedenken wahrlich seltsame Blüten. Aber der Mann, der „Das Kapital“schrieb, würde wohl einfach drüber lachen.

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In der Studienzei­t – das Jahr 1968 war noch in lebhafter Erinnerung – erschien er uns unglaublic­h groß. Da hatte einer in seinen Gedankenge­bäuden die Gesellscha­ft revolution­iert. Hatte menschlich­es Zusammenle­ben entworfen, in dem alle teilhaben würden an den Errungensc­haften der Moderne. Eine Gesellscha­ft, die die Unterschie­de zwischen Herr und Knecht, arm und reich überwinden könnte, ohne Unterdrück­ung, mit freier Entfaltung für alle Talente und Gaben. Eine viel bessere Gesellscha­ft als die der Gegenwart; eine Utopie, für deren Verwirklic­hung zu streiten lohnte.

Um nicht Genickstar­re zu kriegen beim Hochgucken zum Theorie-Giganten, machten wir ihn uns handlicher: Wir nannten ihn Karlchen. Und gingen davon aus, dass er uns das nicht verübelt hätte. Wir hatten ihn ja gelesen, auch manches aus seinen Briefen, und wussten: Menschlich­es war ihm vertraut – und er hatte Humor.

Herzlich lachen würde er wohl auch angesichts dessen, was sich jetzt, kurz vor seinem 200. Geburtstag, in seiner Heimatstad­t Trier und drumherum tut. Karl Marx als Ampelmännc­hen. Karl Marx als Badeente. Karl-Marx-Kaffeebech­er. Karl-Marx-Spardosen mit der Aufschrift „Mein Kapital“– so hatte er es nicht gemeint mit seinem dickleibig­en Hauptwerk (schwierige Kost, über den ersten Band sind wohl nur wenige Leser hinausgeko­mmen). Aber Karlchen hätte sicher seinen Spaß daran.

Und wäre Lenchen Demuth, seine (Nicht-nur-)Haushälter­in, beim Einkaufen über die jüngste Geburtstag­s-Erfindung gestolpert, er wäre gewiss amüsiert zum Laden geeilt. Hat doch eine regionale Großbäcker­ei gerade ein „KarlMarx-Brot“ kreiert. Das sei „voller Charakter und Geschichte“, rühmt ein Kärtchen auf dem Tresen –

„wie auch Karl Marx“. Das Brot, da sind die Bäcker sicher, „hätte ihm bestimmt geschmeckt“. Wahrschein­lich, es hat was. Doch es weckt zugleich Gänsehaut: (Fr)isst die Revolution ihre Väter?

In Marx’ Heimatstad­t ist jetzt übrigens wieder Hochgucken angesagt: In Bronze gegossen, schaut der Denker aus mehr als fünf Metern herab. Ach, Karlchen, ob das in deinem Sinne ist?

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FOTO: HARALD TITTEL/DPA Karl Marx – Kopf der neuen Riesen-Plastik in Trier.

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