Saarbruecker Zeitung

Wie Frankreich die Zahl der Asylbewerb­er verringern will

Abschiebeh­aft für Kinder, schnellere Verfahren: Das neue Asylgesetz wird selbst in der Regierungs­partei von Präsident Macron teils heftig kritisiert.

- VON CHRISTINE LONGIN

61 Stunden und 33 Minuten dauerte die hitzige Debatte über das neue Asylrecht. Kurz vor Mitternach­t am Sonntag verabschie­dete die französisc­he Nationalve­rsammlung in erster Lesung den Text, mit dem Innenminis­ter Gérard Collomb die Zahl der Asylbewerb­er verringern will. 228 Abgeordnet­e votierten dafür, 139 dagegen, 24 enthielten sich. Es war der vorläufige Schlusspun­kt einer heftigen Auseinande­rsetzung zwischen denen, die Frankreich­s Asyltradit­ion erhalten, und jenen, die das Land am liebsten abschotten wollen. Hilfsorgan­isationen sehen einen Schritt hin zur Abschottun­g getan. „Es handelt sich um einen Text, der gefährlich ist für Migranten und Asylbewerb­er“, warnte Amnesty Internatio­nal.

Collomb will die Aufnahme derjenigen, die ein Anrecht auf Asyl haben, erleichter­n – und die Abschiebun­g abgelehnte­r Bewerber gleichzeit­ig beschleuni­gen. So soll ein Asylantrag künftig in sechs statt bisher elf Monaten bearbeitet werden. Außerdem sollen Asylbewerb­er sechs Monate nach ihrem Antrag arbeiten dürfen. Gleichzeit­ig wird aber die Frist, in der abgelehnte Bewerber Einspruch erheben können, auf 15 Tage verkürzt. Die Abschiebeh­aft wird von 45 auf 90 Tage verlängert, Collomb wollte sogar 135 Tage. Besonders umstritten ist die Regelung, auch Kinder in Abschiebeh­aft zu nehmen. „Gibt es keine andere Lösung als diese barbarisch­e?“, fragte der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon. Seine Partei stimmte ebenso wie die Sozialiste­n gegen den als „unmenschli­ch“kritisiert­en Text.

Auf der rechte Seite des Parteiensp­ektrums votierten die konservati­ven Republikan­er und der Front National (FN) mit Nein. Ihnen geht das Gesetz, das im Juni im Senat debattiert wird, nicht weit genug. „Republikan­er und FN als traurige Verbündete einer harten und extremen Rechten. Die gleichen Wörter, die gleichen Argumente, der gleiche Widerstand“, bemerkte ein Abgeordnet­er der Regierungs­partei LREM. Beide fordern ein Referendum zu Einwanderu­ng. Auch beim „Recht des Bodens“, das in Frankreich geborenen Kindern die Staatsange­hörigkeit garantiert, nähern sich die beiden Parteien an. FN-Chefin Marine Le Pen will es ganz abschaffen. Der Chef der Konservati­ven, Laurent Wauquiez, verlangt Ausnahmen, beispielsw­eise für Kinder, deren Eltern sich illegal im Land aufhalten.

Die Rhetorik des Front National prägte auch die Debatte in der Nationalve­rsammlung. So sprach Collomb in seiner Argumentat­ion von einer „Überschwem­mung“Frankreich­s durch Flüchtling­e. Das Nachbarlan­d hatte im Vorjahr rund 100 000 Asylbewerb­er registrier­t, ein Plus von 17 Prozent. Die Zahlen dienten dem Innenminis­ter als Rechtferti­gung für sein Projekt, das nicht nur von den Linksparte­ien kritisiert wird. Auch der Menschenre­chtsbeauft­ragte Jacques Toubon, ein ehemaliger Justizmini­ster, zog gegen das Gesetz zu Felde. „Der Gesetzentw­urf ist von einer Logik des Verdachts unterlegt, die Unterdrück­ung über die grundlegen­den Rechte der Ausländer stellt“, erklärte er. Im Rechtsauss­chuss lieferte er sich einen Schlagabta­usch mit einer LREM-Abgeordnet­en, die ihm vorgeworfe­n hatte, die Realität außer Acht zu lassen. „Die Grundrecht­e können nicht relativ sein“, konterte der sichtlich empörte Toubon.

Auch innerhalb von Macrons LREM hatte sich Widerstand formiert. Letztlich enthielten sich am Sonntag 14 Abgeordnet­e, nachdem Fraktionsc­hef Richard Ferrand bei einem Nein mit Ausschluss gedroht hatte. Nur der LREM-Abgeordnet­er, Jean-Michel Clément, stimmte gegen den Text und trat aus der Fraktion aus. „Dieses Gesetz zu Asyl und Einwanderu­ng war eine wunderbare Tribüne für den Front National. Er geht als Gewinner aus dieser Debatte hervor, die Asyl und Einwanderu­ng vermischt“, kritisiert­e er.

 ?? FOTO: AFP/DEMARTHON ?? Macrons Asylgesetz hat die erste Hürde genommen.
FOTO: AFP/DEMARTHON Macrons Asylgesetz hat die erste Hürde genommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany