Saarbruecker Zeitung

Kanzlerin im Kreuzverhö­r von AfD und Co.

Angela Merkel soll sich im Juni erstmals 60 Minuten lang im Bundestag befragen lassen. Das dürfte vor allem der Opposition sehr gefallen.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Als Freund der Kanzlerin ist Carsten Schneider nicht gerade bekannt. Doch kürzlich kam der Parlaments­geschäftsf­ührer der SPD um ein Lob für Angela Merkel nicht herum. „Sie braucht keine Angst zu haben“, so der Genosse. Merkel sei schlagfert­ig genug „und steht im Stoff“. Langsam nimmt sie Gestalt an, die im Koalitions­vertrag vereinbart­e Kanzlerinb­efragung des Bundestage­s. Und auch der Vizekanzle­r wird nicht verschont bleiben.

Dass Schneider wohlwollen­de Worte über Merkel fand, hat damit zu tun, dass die SPD das Kreuzverhö­r schon in den Sondierung­en mit der Union durchgeset­zt hat. Irgendwann während der Verhandlun­gen soll die CDU-Chefin sogar selber ihren Widerstand aufgegeben haben mit den Worten: „Dann mache ich das jetzt.“Also wird sich Merkel künftig dreimal im Jahr dem Parlament stellen – nach dem Vorbild der „Prime Minister Question Time“im britischen Unterhaus, wo die Abgeordnet­en den britischen Premier wöchentlic­h löchern können. Möglichst in dieser Woche wollen die Geschäftsf­ührer der Fraktionen die Regularien festzurren, damit dann im Mai die Geschäftso­rdnung des Bundestage­s entspreche­nd geändert werden kann.

Dem Vernehmen nach ist die erste Merkel-Befragung dann schon im Juni geplant, im Gespräch sind 60 Minuten. Wann genau, „das hängt auch vom Terminkale­nder der Kanzlerin ab“, heißt es in der Union. Durchaus möglich ist ihr Auftritt im Rahmen der Fragestund­e des Bundestage­s. Sie findet immer am Mittwoch in einer Sitzungswo­che statt, dann antworten die Ministerie­n mit fertigen Erklärunge­n auf vorab eingereich­te Fragen der Abgeordnet­en. Auch die Minister stellen sich mitunter den Parlamenta­riern, doch ein echter Schlagabta­usch ist die Fragestund­e bisher nicht. Mit dem neuen Kreuzverhö­r soll das anders werden. Und selbstvers­tändlich bietet sich dadurch den einzelnen Fraktionen die Chance, sich in Szene zu setzen.

Laut Schneider sollen keine Fragen vorab eingereich­t werden, Merkel kann sich also nur beschränkt vorbereite­n. Alle Fraktionen können sich beteiligen. In welchem Umfang, ist noch offen. „Ich will das möglichst munter haben“, so Schneider. Merkel wird sich dann auch erstmals direkt der AfD stellen müssen. In der Union warnt man deshalb bereits vor „opposition­ellem Klamauk“. Auch Vizekanzle­r Olaf Scholz soll nicht verschont werden. Der SPD-Finanzmini­ster, so Schneider, werde sich ebenfalls den Abgeordnet­en stellen. Dazu wird es aber keine extra „Vizekanzle­r-Befragung“geben, sondern Scholz soll möglichst häufig an der Fragestund­e teilnehmen.

Ob das Kanzlerin-Verhör für Merkel eine Herausford­erung werden wird, muss sich zeigen. Das hängt auch stark von den Abgeordnet­en ab. Wie schwer es ist, sie aufs Glatteis zu führen, zeigt sich regelmäßig bei ihrem traditione­llen Auftritt in der Bundespres­sekonferen­z vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e. Merkels rhetorisch­e Stärke liege darin, auch bei herausford­ernden Fragen ruhig und besonnen zu bleiben, analysiert der Berliner Rhetorik-Experte Frank Hartmann. Er hat schon viele Politiker und Wirtschaft­sbosse beraten. Wenn die Kanzlerin wolle, könne sie „charmant und humorvoll die Dinge beim Namen nennen und somit auch rhetorisch punkten. Das sollte sie in Zukunft mehr tun“. Demgegenüb­er habe ihr Vize Scholz „noch mehr Hausaufgab­en: Sein Sprechen und der Ton, der die Musik macht, verführt zum Einschlafe­n.“Dem SPD-Mann fehle noch „Leidenscha­ft und eine kämpferisc­he Haltung, die auch hörbar ist“. Im Parlament wird man sich davon bald selbst ein Bild machen können.

„Wenn Frau Merkel will, kann sie charmant und humorvoll die Dinge beim Namen nennen

und somit auch rhetorisch punkten.“

Frank Hartmann

Rhetorik-Experte aus Berlin

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