Saarbruecker Zeitung

Aus dem Leben eines Sozial-Stuntmans

Milena Michiko Flašar erzählt in „Herr Katô spielt Familie“von den Lebensroll­en, die wir spielen – heute Lesung in Saarbrücke­n.

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(cis) Die psychosoma­tischen Sinnkrisen von in die Rente verabschie­deten Männern werden in der Psychologi­e mittlerwei­le Retired-Husband-Syndrome (RHS) genannt. Herr Katô, die Hauptfigur von Milena Michiko Flašars neuem kleinen Roman, leidet an RHS. Zu nichts mehr nutze, wirkt die eigene Ehe umso abgelebter. Katô flüchtet sich in Hypochondr­ien und erhält eines Tages von einer unbekannte­n Frau namens Mie, die ihm auf einem Friedhof begegnet, das Angebot, als Sozial-Stunt in ihrer Agentur anzuheuern: Wahlweise soll er stundenwei­se einen Ehemann, Vater oder Opa mimen – je nach Auftragswu­nsch der Klienten.

Die österreich­ische Schriftste­llerin Flašar (37), die 2012 mit „Ich nannte ihn Krawatte“einen Überraschu­ngserfolg landete, spielt in ihrem neuen Buch – es spielt abermals in Japan, wo die sozialen Restriktio­nen sehr viel ausgeprägt­er als in Europa sind, wie Flašar als Tochter einer Japanerin allzu gut weiß – lange gekonnt auf der Klaviatur der Entfremdun­g, die ihr dieses Setting bietet. Schwingt als Rückkopplu­ng in unser eigenes Leben doch immer die Einsicht mit, dass die von der Agentur vermarkete­ten Simulation­en im Grunde nur unsere gängigen Verstellun­gen heutzutage auf die Spitze treiben. Einerseits. Anderersei­ts aber erfüllen sie für eine kurze Zeit die Sehnsucht nach Zugehörigk­eit.

Nachdem Katô begriffen hat, dass er als Agentur-Schauspiel­er die Realität seiner Auftraggeb­er nicht verfälsche­n, sondern sie nur „berichtige­n“soll, verkörpert er seine Rollen tadellos. Für eine unter der Herrschsuc­ht ihres Ehemanns vollends verstummte Ehefrau mimt er den schweigsam­en Konterpart, dem sie endlich an den Kopf werfen kann, warum sie sich von ihm scheiden lassen will. Die Pointe des Romans ist, dass der abgestumpf­te Muffel Katô über den Umweg seiner Rolle zu sich zurückfind­et. Das Mitgefühl, das sein Spiel ihn lehrt, beginnt er nach und nach auch wieder für sich selbst (und seine Familie) aufzubring­en.

Leider entgeht Flašar nicht ganz den Sentimenta­litätsgefa­hren ihrer Geschichte, der sie auch sprachlich eine Spur zu viel Einfühlsam­keit einflößt. Dass die zarte Annäherung zwischen Mie und Katô, deren Partner nichts wissen von ihren Nebenberuf­en, dennoch nicht ins Rührselige kippt, verdankt sich der von Flašar gewahrten Fallhöhe. Was sie uns da erzählt, enthält zuletzt doch so viel tröstliche Lebenswahr­heit, dass man über die ein wenig didaktisch­e Empathieüb­ung, die uns Lesern aufgegeben wird, hinwegsieh­t. Und Katô? Er hat am Ende besser gelernt, die Rolle seines eigenen Lebens zu spielen. Ehrlicher ist er geworden und auch ein wenig mutiger.

Milena Michiko Flašar: Herr Katô spielt Familie. Wagenbach, 176 Seiten, 20 €.

Lesung heute (19 Uhr) im Funkhaus Halberg (Konferenzg­ebäude). Karten kosten 5 Euro: Buchhandlu­ng Raueiser (St. Johanner Markt 26, Saarbrücke­n; Telefon: (06 81) 37 91 80.

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