Saarbruecker Zeitung

Ulrich Ludat: Kunst, die sperrig sein will

- VON DAVID LEMM

„Südenschla­gen“. Der Titel des Abends gibt Rätsel auf. Gut, dass die Veranstalt­er den Besuchern ein Programm aushändige­n, auf dessen Rückseite sich ein langer, programmat­ischer Artikel zum Thema befindet. In „Schrecklic­he Dinge“, so der Titel des Artikels, reflektier­t der Journalist Thomas Steinfeld kritisch die großen Kunstausst­ellungen der letzten Jahre, die sich ausgiebig den im Süden gelegenen ärmeren Regionen widmeten.

Eigentlich wollte der Saarbrücke­r Aktionskün­stler Ulrich Ludat gemeinsam mit Kollegen bereits im letzten Jahr seine persönlich­e Auseinande­rsetzung mit der benachteil­igten Hälfte des Planeten präsentier­en. Im dritten Anlauf hat es nun geklappt: „Unheimlich schön“, dringt es mit viel Hall unterlegt immer wieder aus den Boxen in den Zuschauerr­aum des Kinos Achteinhal­b. Die Frauenstim­me oszilliert zwischen gehauchter Laszivität und schwer atmender Depressivi­tät – womöglich ein Hinweis auf das, was an diesem Abend kommen mag. Denn die gut zehn Programmpu­nkte vermessen den vermeintli­chen Sehnsuchts­ort Süden immer wieder neu, indem sie zwischen konkreter Anschauung und abstrakter Anhörung hin- und herpendeln.

In Peter Strickmann­s Kompositio­n „Schnarchna­serei“rufen die voll klingenden Hörner ein idyllische­s Bergpanora­ma ins Gedächtnis. Doch mit der Idylle ist nicht weit her: Denn unterdesse­n kommt von außen durch den Notausgang ein seltsamer Gefährte in den Zuschauerr­aum über die Leiter geklettert. Auf seiner Schulter eine Posaune im Anschlag, verkehrt herum, sodass der Posaunenzu­g bedrohlich wie der Lauf eines Gewehres wirkt.

Der spanischst­ämmige Saarbrücke­r Nicolás Galiana de la Rosa verkörpert glaubhaft die Bedrohung von außen, die man als fleischgew­ordene Metapher der Flüchlings­problemati­k deuten konnte. Ein ohrenbetäu­bender Krach mit einem finalen Schuss veranlasst den Eindringli­ng schließlic­h zur Flucht.

Und es öffnet sich der Vorhang für Ulrich Ludats Film „anécdotas de barcos fluctuante­s“. Zu sehen sind zwei schaukelnd­e Schiffskäh­ne im Delta des Río de la Plata, wo sich Ludat im Rahmen einer künstleris­chen Residenz aufhielt. Der Lärm der knatternde­n Dieselmoto­ren und das Quietschen des Krans, der die beiden Kähne mit Schutt belädt, sind ohrenbetäu­bend und strapazier­en die Nerven aufs Äußerste.

Erst ein Windstoß, der die am Boot angebracht­e und sich gleichzeit­ig in einer dreckigen Pfütze spiegelnde argentinis­che Flagge sichtbar macht, macht aus der Kameraeins­tellung einen deutbaren Ort im Süden der Welt.

Im Reigen der anschließe­nden Darbietung­en überlagern sich die Medien: Ludat trommelt mit Fliegenkla­tschen auf Papierpart­ituren, die an der Wand hängen. Die Zuschauer werden zu aktiven Gestaltern der Performanc­e, indem sie mit Steinmörse­rn mahlend den Sound um eine weitere Dimension erweitern. Vermeintli­che Ruhe kehrt erst mit Konstantin Ames ein.

Der aus Völklingen stammende und in Berlin lebende Schriftste­ller erweitert in seinen Texten die übliche Synthax kunstvoll-lautmaleri­sch und plädiert voller Verve für „keine gelenkte Kunstfreih­eit“. Während ein verzettelt­er sizilianis­cher Trauermars­ch beginnt, klingt Ames langsam aus, und der erste Zuschauer verlässt den Raum, noch bevor Ludat und Ames im finalen Duett Ulrich Mühsam Gedicht „Ich wollt das Lied des Herzens nicht verschweig­en“(1914) hauchen – und einfach verschwind­en.

Der die Sinne und das Assoziatio­nsvermögen höchst strapazier­ende Abend endet mit einem eigenwilli­gen, lediglich in italiensic­her Sprache gezeigten Film über die Ankunft eines postmodere­n, queeren Kaspar Hauser auf Sardinien. Ein passender Abschluss dieses denkwürdig­en Abends, an dem Kunst nicht gefallen, sondern lautstark auf sich aufmerksam machen wollte und es tat.

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