Saarbruecker Zeitung

Immer mehr Sport-Talente verlassen das Saarland

Junge Athleten wollen von der Top-Förderung der Universitä­ten profitiere­n. Luca Wieland und Benjamin Becker sind beste Beispiele.

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des Jahres. „Ich war hier ohne Unterstütz­ung und habe in den USA mit einem jährlichen 40 000-Dollar-Stipendium die bestmöglic­he Unterstütz­ung erfahren“, sagt der Düsseldorf­er.

Zehnkämpfe­r Wieland ist nach einem Bachelor-Abschluss an der Universitä­t von Minnesota nach vier Jahren ins Saarland zurückgeke­hrt und hat sich aufgrund der besseren Entwicklun­gs-Chancen dem SV Halle mit Vize-Weltmeiste­r Rico Freimuth angeschlos­sen. In den USA war dem 23-Jährigen der Durchbruch gelungen, 2017 machte er 8201 Punkte. Trotz erfüllter Norm durfte er nicht mit zur WM, weil er seine Topergebni­sse nicht in offizielle­n Normwettkä­mpfen des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes gezeigt hatte. „Es war in der Vergangenh­eit fast unmöglich für mich, daran teilzunehm­en, weil die College-Saison in den USA schon Anfang Juni zu Ende ist. Da ist man ausgebrann­t, und hier fangen die Quali-Wettkämpfe an“, sagt Wieland. Jetzt peilt er seine EM-Teilnahme im August in Berlin an.

Aus der Vermittlun­g von Stipendien hat sich inzwischen ein Markt entwickelt: Agenturen wie Scholarboo­k, uniexperts, Sport-Scholarshi­ps und Monaco Sportstipe­ndium knüpfen die Kontakte und bereiten die Kandidaten auf Eingangspr­üfungen vor. „Man sollte sich neben der sportliche­n Laufbahn auch eine berufliche aufbauen. Das ist in Deutschlan­d schwierig“, sagt Simon Stützel. Er hat als Langstreck­enläufer einst in Charlotte studiert und inzwischen als Gründer und Geschäftsf­ührer von Scholarboo­k schon etwa 2000 Stipendien vermittelt – darunter auch an Göhler und Schwingens­chlögl.

Bis zu 70 000 US-Dollar (rund 57 000 Euro) im Jahr seien diese wert: Wohnung, Verpflegun­g, Trainingsl­ager, Betreuung, Taschengel­d – alles inklusive. Der 31-Jährige aus Karlsruhe schwärmt von der „hohen Profession­alität“an den Colleges. „Die einzigen Sportler, die es sich hierzuland­e erlauben können, ihr Studium zu strecken, sind die mit reichen Eltern“, findet Stützel.

Sein Unternehme­n kooperiert unter anderem mit dem Deutschen Schwimm-Verband und dem Olympia-Stützpunkt Hessen. Einige Verbände sehen es jedoch ungern, wenn sich ihre Talente fernab des eigenen Einflussbe­reichs entwickeln möchten. Sven Baumgarten, beim Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB) für duale Karrieren zuständig, tut sich auch schwer, von einem Trend zu sprechen: Es gebe keine belastbare­n Zahlen, „und unter den Bundeskade­rn und vor allem den Topathlete­n sind es nur Einzelfäll­e“. Er könne nicht bestätigen, „dass zahlreiche Talente verloren gehen“, sagt Baumgarten, räumt aber ein: „Wir haben ein System im Aufbau, das in der Tat noch optimiert werden muss.“

Vermittler Stützel betont: „Wir wollen niemandem Talente wegnehmen, sondern der zweiten Reihe eine Chance geben.“In Deutschlan­d erhalten nach DOSB-Angaben etwa 400 studierend­e Leistungss­portler ein Sporthilfe-Stipendium von 400 Euro monatlich. „Wir wissen natürlich auch, dass mehr als 120 000 College-Sportler gefördert werden“, sagt Baumgarten: „Es ist einfach ein anderes System. In den USA finden die Sportler an den Unis die besten Bedingunge­n vor, bei uns an den Bundesstüt­zpunkten.“

Patrick Zimmer schrieb sogar ein Buch über Kicken und Studieren in den Staaten. Der Titel: „Zehn Schritte zu deinem Fußballsti­pendium in den USA.“Der ehemalige Jugendspie­ler von Hannover 96 gehörte Uni-Teams in Florida und Kalifornie­n an. „Wenn man nach Amerika geht, kann man eine richtig geile Zeit haben. Es kann aber auch in die Hose gehen, wenn man das falsche Team und die falsche Uni wählt“, sagt er. Seine Erfahrunge­n klingen allerdings verlockend: „Stell dir vor, du wirst von deinen Kommiliton­en und Professore­n beim Fußballspi­el angefeuert, bist der Star auf Collegepar­tys, fliegst zu Auswärtssp­ielen, knüpfst Freundscha­ften mit Menschen aus der ganzen Welt und erlebst eine Zeit, die dein komplettes Leben verändern wird“. So wirbt Zimmer für seinen Ratgeber.

Die nationale Profiliga MLS und die zweitklass­ige USL suchen händeringe­nd nach Talenten, davon profitiere­n die Colleges: Sie scouten mittlerwei­le sogar in Deutschlan­d: In Hürth bei Köln spielten kürzlich 100 Fußballer vor 20 Trainern aus den USA vor – für ein Dutzend Stipendien. Während im Männerfußb­all durch die profession­elle Arbeit in den Nachwuchsl­eistungsze­ntren – im Saarland hat die SV Elversberg ein solches – die Verlockung aber überschaub­ar ist, entwickelt sich im Frauenfußb­all geradezu ein Trend – gerade in der Leistungss­pitze. MIt Laura Freigang, Dina Orschmann und Steffi Sanders spielen drei aktuelle U20-Nationalsp­ielerinnen an Colleges in den USA.

Manche Sportler landen sogar eine Traumkarri­ere: der Saarländer Benjamin Becker etwa. Nur dank der ausgezeich­neten Förderung in den USA schaffte es der Orscholzer, sich als Tennisprof­i durchzuset­zen. Der inzwischen 36-Jährige, der im September 2017 seine Karriere beendet hat, gewann einen Titel auf der ATP-Tour, kletterte bis auf Platz 35 der Weltrangli­ste, spielte bei allen Grand-Slam-Turnieren und auch im deutschen Davis-CupTeam. Allem voraus ging die „geniale Zeit“an der Baylor University in Waco/Texas. Mit den Baylor Bears triumphier­t Becker bei den US-College-Meistersch­aften 2004.

Auch andere hoffen auf den Durchbruch über genau diesen Weg. Das deutsche Basketball-Talent Moritz Wagner stand mit dem Team der Universitä­t Michigan gerade im Finale der College-Liga NCAA und schrieb auch bundesweit Schlagzeil­en. Der Berliner hat sich für die Talente-Auswahl der Profiliga NBA angemeldet – und will einer der künftigen Stars der Liga werden.

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FOTO: IMAGE/CHAI VON DER LAAGE Zehnkämpfe­r Luca Wieland aus Holz, hier beim Hochsprung, hat sich in den vier Jahren in den USA in die Weltspitze vorgearbei­tet.

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