Saarbruecker Zeitung

AfD strickt die Legende vom faulen Bundestag

Die rechten Neulinge im Parlament machen die mangelnde Präsenz im Plenum zum Thema – und verschweig­en die Aufgaben der Abgeordnet­en.

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BERLIN Gestern begann um 13 Uhr die Sitzung des Bundestage­s mit der Befragung von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU), doch wie fast immer saßen kaum zwei Dutzend Abgeordnet­e im Plenum. Ein Grund: Parallel tagten etliche Ausschüsse. Die AfD will solche Terminüber­schneidung­en nun verbieten. Die anderen Fraktionen sehen in dem Vorstoß der Rechten jedoch ein billiges Spiel mit Vorurteile­n.

Überschnei­dungen mit den Plenardeba­tten sollten nur noch in Ausnahmefä­llen möglich sein, verlangt die AfD in ihrem Antrag, über den heute beraten wird. Darüber müsse jeweils der Ältestenra­t entscheide­n. Gegenwärti­g tagen mittwochs immer sieben Ausschüsse und donnerstag­s zwei Untersuchu­ngsausschü­sse sowie der Ältestenra­t zeitgleich zum Plenum. Arbeitskre­ise der Fraktionen und andere Gremien kommen hinzu.

Bei den anderen Parteien lehnt man den Vorschlag rundweg ab. Es gehe der AfD nur darum, ihre „Legende“aufrecht zu erhalten, sagt FDP-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Marco Buschmann. Tatsächlic­h hatte die AfD von Anfang an damit Werbung gemacht, dass ihre Fraktion als einzige fast immer vollzählig unter der Glaskuppel des Reichstage­s erscheine. Einmal twitterte ein AfD-Abgeordnet­er sogar höhnisch ein Foto von komplett leeren Bänken bei CDU, SPD und Co. Da hatte die Sitzung freilich noch gar nicht begonnen. „Das ist eben ein Arbeitspar­lament“, sagt Carsten Schneider, SPD-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer. Es ergebe wenig Sinn, wenn alle 709 Parlamenta­rier zehn Stunden und mehr am Stück spezifisch­en Fachdiskus­sionen lauschten und nichts anderes machen würden. Schneider hat für Besuchergr­uppen, die sich über die leeren Ränge wundern, immer ein Bonmot von Churchill parat: „Nur ein faules Parlament sitzt im Parlament.“

Vor allem aber werden praktische

Carsten Schneider Argumente gegen das AfD-Ansinnen angeführt. Bei 24 Ausschüsse­n, elf Unteraussc­hüssen und zahlreiche­n Fraktionsg­remien seien Überschnei­dungen praktisch nicht zu verhindern, heißt es bei den Grünen und bei der SPD. Schneider: „Das Problem ist fast nicht auflösbar.“Der Montag und der Freitag fallen als An- und Abreisetag praktisch weg, am Dienstag tagen die Fraktionen und Arbeitsgru­ppen. Es bliebe nur die Verlängeru­ng der Sitzungswo­che – was aber zu Lasten der Arbeit in den Wahlkreise­n gehen würde.

Allerdings gibt es inzwischen auch Kompromiss-Signale. Die FDP kann sich vorstellen, wenigstens den Ältestenra­t anders zu terminiere­n. Und der AfD-Abgeordnet­e Stephan Brandner, Autor des Antrages, brachte gegenüber unserer Redaktion ins Gespräch, die wichtigste­n Tagesordnu­ngspunkte zu bündeln und in dieser Zeit Überschnei­dungen mit Ausschüsse­n zu untersagen. Bei weniger bedeutsame­n Debatten bliebe alles wie gehabt.

Wie wichtig der AfD der Bundestag als Bühne ist, hat gerade eine Auswertung gezeigt, die die Süddeutsch­e Zeitung anhand der Sitzungspr­otokolle erstellt hat. Demnach agiert die AfD-Fraktion wie keine andere als Block, klatscht gemeinsam oder steht sogar klatschend für ihre Redner auf. AfD-Abgeordnet­e lachen drei Mal häufiger Redner anderer Parteien aus. Bei den Zwischenru­fen rangiert die Partei nach den Grünen auf Platz Zwei; AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland ist der führende einzelne Zwischenru­fer. Freilich werden auch die AfD-Redner häufiger als alle anderen unterbroch­en. Die AfD hat die Parlaments­debatten polarisier­t, zeigt die Studie. Mit Absicht. Die Redebeiträ­ge ihrer Abgeordnet­en werden von der Fraktion sofort auf Youtube und anderen Kanälen verbreitet. „Wir wollen den Bundestag rocken“, sagt AfD-Antragstel­ler Stephan Brandner freimütig. „Und das muss auch zeitlich möglich sein.“

„Nur ein faules Parlament sitzt im Parlament.“

SPD-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer unter Rückgriff auf ein Zitat von Ex-Briten-Premier Winston Churchill

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