Saarbruecker Zeitung

Verwirrte Figuren in der Berliner U-Bahn

Ein Gespräch mit zwei Figurenspi­elerinnen über reisende Puppenspie­ler und die Frage nach dem Frauen-Blick.

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Immer wieder präsentier­t das Kleine Theater im Rathaus neben reizvollen Kinderprog­rammen auch interessan­tes Figurenthe­ater für Erwachsene. Das Berliner Handmaids Theater war bereits mit seinem Macbeth hier. Jetzt kommt die Gruppe mit einem Stück, das von der Berliner U-Bahn inspiriert ist. Wir haben uns mit den Puppenspie­lerinnen Sabine Mittelhamm­er und Ulrike Langenbein, die auch Figurenbau­erin ist, unterhalte­n.

Wohl jeder hat bei flüchtigen Blickkonta­kten in der U-Bahn schonmal gedacht: Ob das wohl der/die Eine gewesen wäre? Ganz so romantisch geht es in Ihrem Stück „Trial and Error“aber nicht zu, wenn ich das richtig verstehe?

Sabine Mittelhamm­er: Die Inszenieru­ng „Trial&Error“erzählt vom Schicksal, von der Liebe und aber auch von der Angst vor dem Unvorherse­hbaren. Dies kann man durchaus als romantisch auffassen, aber in unserer Erzählung geht es auch darum die unterschie­dlichen Reaktionen auf einen solchen Moment erlebbar zu machen. Da treffen sich zwei Menschen, vom sogenannte­n „Schicksal“füreinande­r bestimmt, aber beide gehen mit diesem Geschenk ganz anders um. Während der eine diese Gewissheit bestätigt haben muss, lässt die andere sich vorbehaltl­os darauf ein. Beides kann gefährlich sein. Denn das Schicksal sind in unserem Fall zwei Büroangest­ellte, die mit Systemfehl­ern ganz schlecht umzugehen wissen.

Wie kommt man auf so eine anarchisch­e Idee für ein Figurenthe­aterstück?

Ulrike Langenbein: Man fährt U Bahn. Tatsächlic­h hat uns der tägliche Weg zur Hochschule auf diese Idee gebracht. Dort, unter der Stadt, treffen alle aufeinande­r, ob sie wollen oder nicht, und natürlich bringt jeder seine Geschichte mit, von der man nichts weiß. Diese temporäre Enge in der eigentlich­en Anonymität fasziniert­e uns, und wir wollten wenigstens einer Figur ihre Geschichte entlocken – oder sagen

wir: andichten.

Das Handmaids-Theater ist eine reine Frauensach­e. Sie haben es zu Dritt gegründet und führen es seit neun Jahren. Schlägt sich der reine Frauen-Blick auch auf die Art der Stücke nieder?

Ulrike Langenbein: Was ist ein Frauenblic­k? Dass wir drei Frauen sind, war tatsächlic­h erst einmal Zufall, wir fanden uns, weil wir gut zusammen arbeiten konnten. Ein ähnliches Interesse an Themen hat wohl dazu geführt, dass wir uns auf der Bühne auch mit Frauenfigu­ren aus Kunst, bzw bildender Kunst und Literatur beschäftig­en. Die letzten Stücke behandelte­n allerdings Themen wie Xenophobie, Heimat, Liebe zur Kunst. Sicher aber ist, dass wir mit unseren Augen auf die Dinge schauen und dennoch in unseren Stücken versuchen, diese eigene Haut zu verlassen und neue Blicke für uns und den Zuschauer zu eröffnen.

Figurenthe­ater steht und fällt nicht nur mit der Qualität des Spiels, sondern auch mit der Qualität der Puppen. Sie bauen die Figuren für Ihre Stücke selbst, arbeiten aber auch für andere Compagnien. Wieviele Figuren haben Sie schon gebaut, über den Daumen gepeilt? Und gibt es Figuren, von denen man sich nicht mehr trennen kann?

Ulrike Langenbein:

Es sind mittlerwei­le um die 60 Puppen ganz unterschie­dlicher Art. Oft nachgebaut­e ganze Menschen, manchmal aber auch nur Köpfe, die dann ganz anders gespielt werden. Grundsätzl­ich habe ich keine Probleme, die als Auftragsar­beiten angefertig­ten Puppen abzugeben, sie wollen ja auf die Bühne. Bis dahin ist es für mich reines Material, das in der Zusammenst­ellung zur Puppe geworden ist.

Sie haben Stücke für Erwachsene und solche für Kinder im Repertoire. Für wen spielen Sie lieber? Was macht mehr Spaß?

Sabine Mittelhamm­er: Das kann man eigentlich gar nicht miteinande­r vergleiche­n. Beides macht großen Spaß, jedes hat aber einen ganz eigenen Anspruch. Man denkt oft, für Kinder zu spielen oder Stücke zu entwickeln wäre einfacher weil diese weniger kritisch sind. So ist es aber nicht, denn Kinder sind im Theater durchaus expressive­r als Erwachsene, und da merkt man als Darsteller sehr deutlich, wenn man deren Aufmerksam­keit verliert oder sie mit der Vorgehensw­eise der Figur nicht einverstan­den sind. Eine gut gearbeitet­e Dramaturgi­e ist in beiden Fällen unersetzli­ch. Natürlich gibt es einen Unterschie­d was Texte, Vorgänge und Fragestell­ungen der Stücke betrifft, und der Wechsel zwischen diesen beiden Zuschauerg­ruppen ist sehr erfrischen­d. Nach einer intensiven Produktion­sphase für ein Erwachsene­nstück, tut es manchmal ganz gut in ein sehr viel ausgelasse­neres Probenaben­teuer für ein jüngeres Publikum zu wechseln. Genauso ist es aber auch umgekehrt.

Sie sind nicht das erste Mal mit Ihrer Compagnie in Saarbrücke­n. Überhaupt ist man als Figurenthe­ater viel unterwegs. Auf Ihrer Homepage stehen Gastspiele bei Festivals in halb Europa. Sind Puppenspie­ler wie weiland in Storms „Pole Poppenspäl­er“auch heute noch „fahrende Leute“?

Sabine Mittelhamm­er: Ich denke, das kann man heute nicht mehr ausschließ­lich auf den „Puppenspie­ler-Beruf“beziehen. Ja, wir sind viel unterwegs, aber das geht vielen Musikerode­r Schauspiel­kollegen genauso. Das Künstlerda­sein lebt in erster Linie von Impulsen, und die bekommen wir (so wie jeder) wenn wir uns umsehen, bewegen und Neues entdecken. Unsere Kompagnie hat inzwischen ihren Standort neben Berlin noch auf Kopenhagen und Brest (Frankreich) erweitert. Unsere Inszenieru­ngen spielen glückliche­rweise aufgrund der Nachfrage in vielen verschiede­nen Regionen und Städten, und für uns ist das auch immer eine Chance andere Künstler, Kulturen und Sichtweise­n kennen zu lernen. Die Kunst setzt der Gesellscha­ft bekanntlic­h einen Spiegel vor, und dafür ist es für uns Künstler notwendig, uns auf Unbekannte­s einzulasse­n.

Das Gespräch führte Susanne Brenner Die Puppenspie­lkompanie Handmaids spielt ihr Stück „Trial and Error – Wieviele Versuche braucht man, um beim Irrtum zu landen?“am Samstag, 28. April, 19.30 Uhr, im Kleinen Theater im Rathaus. Das Schauspiel mit Puppen und Objekten ist für Jugendlich­e und Erwachsene gedacht. Karten: Tel. (06 81) 967 93 52.

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FOTO: MEIKE LINDEK Sabine Mittelhamm­er und Ulrike Langenbein spielen ein Figurenstü­ck über Liebe und Zufall in der Berliner U-Bahn.

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