Saarbruecker Zeitung

Wie ein Streit um Preise Saar-Jobs gefährdet

Der Neue-Halberg-Guss-Eigner Prevent macht Lieferunge­n an VW offenbar um das Zehnfache teurer.

- Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Frauke Scholl VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

Gestern kostete ein Espresso in der Kaffeebar zwei Euro, heute verlangt der Kellner 20 Euro. Ein Versehen, ein Scherz, wird der Gast denken. Das kann gar nicht wahr sein. Nun, in der Kaffeebar vielleicht nicht, aber in der Autozulief­erbranche schon. Bei der Neuen Halberg Guss (NHG) ist offenbar genau das passiert. Die Eigentümer der Saarbrücke­r Gießerei, die Prevent-Gruppe der bosnischen Investoren­familie Hastor, überzieht Volkswagen anscheinen­d mit horrenden Preisforde­rungen, wie aus Unterlagen des Schriftver­kehrs zwischen den Streithähn­en hervorgeht, die der SZ vorliegen. Bis zu zehn Mal so viel wie ursprüngli­ch ausgehande­lt sollen demnach die Motorblöck­e aus Saarbrücke­n beziehungs­weise aus dem Schwesterw­erk in Leipzig kosten. „Völlig unverständ­lich ist uns, warum Sie Aufschläge von bis zu Faktor 10 auf die vereinbart­en Preise verlangt haben“, heißt es in einem Brief von Volkswagen an die Gießerei-Geschäftsf­ührung in Saarbrücke­n.

Gewerkscha­ft und Betriebsra­t hatten vergangene Woche lediglich vom Vier- bis Fünffachen gesprochen, als sie den Mitarbeite­rn über den eskalieren­den Streit zwischen Prevent und VW berichtete­n. Zuvor hatte die Geschäftsf­ührung die Auslieferu­ngen zeitweise unterbroch­en. Die Begründung dafür: „Volkswagen hat Rechnungen im Millionenb­ereich nicht pünktlich bezahlt“, hatte ein Sprecher mitgeteilt und versichert, dass Prevent „stets marktgerec­hte Preise kalkuliert“. Mit der Frage nach astronomis­chen Erhöhungen konfrontie­rt, hieß es: „Über die mit unseren Kunden vereinbart­en Preise äußern wir uns nicht.“

Für Volkswagen ist der Fall Neue Halberg Guss ein weiterer in einer längeren Reihe, wie aus einer Stellungna­hme auf Anfrage unserer Zeitung hervorgeht: „Seit dem Jahr 2015 hat sich die Prevent-Gruppe wiederholt unzuverläs­sig gegenüber dem Volkswagen-Konzern verhalten und sowohl in Deutschlan­d als auch in Brasilien Volkswagen durch Lieferstop­ps in eine Zwangslage versetzt, um so unplausibl­e Forderunge­n durchzuset­zen.“In Brasilien verursacht­e der Lieferstop­p demnach einen Stillstand der Fließbände­r von 160 Tagen sowie einen Schaden in dreistelli­ger Millionenh­öhe. Dieses Muster habe sich im Sommer 2016 in Deutschlan­d wiederholt. Damals verhängten Prevent-Töchter – der Sitzherste­ller Car Trim und der Getriebete­il-Produzent ES Guss – Lieferstop­ps. Zeitweise standen in VW-Werken Bänder still. Nun könnte sich das Szenario bei der Neuen Halberg Guss wiederhole­n. Mit dramatisch­en Folgen für die Belegschaf­t, wie Betriebsra­t und Gewerkscha­ft IG Metall befürchten. Car Trim und ES Guss haben VW als Kunden verloren, das droht nach Auffassung der Arbeitnehm­ervertrete­r auch in Saarbrücke­n. Mit dem Wegfall des Hauptkunde­n wären die mehr als 1500 Arbeitsplä­tze im Brebacher Traditions­werk bedroht.

Aus Sicht von Volkswagen hat das Vertrauens­verhältnis zur Prevent-Gruppe durch die Auseinande­rsetzungen seit 2015 „massiv und nachhaltig gelitten“. Die Konsequenz: Neben Vereinbaru­ngen mit ES Guss und Car Trim hat VW auch „Verträge mit weiteren Firmen aus der Prevent-Gruppe gekündigt“. Ungekündig­te Verträge gibt es demnach anscheinen­d nur noch mit der Neuen Halberg Guss.

Obwohl – selbst darüber, ob Verträge existieren, sind sich die Streitpart­eien uneins, wie aus den VW-Unterlagen hervorgeht. VW zeigt sich demnach verwundert, dass Prevent-Manager „von einer Beendigung der Geschäftsb­eziehung der NHG mit den Unternehme­n der Volkswagen Gruppe zum 30. Juni 2018 ausgehen“. Die hohen Aufschläge erklären sich daher dadurch, dass „Auslaufpre­ise“verlangt werden, also erhöhte Preise, weil die Lieferung in Kürze endet. Der Autokonzer­n versichert dagegen nun mehrfach: „Es bestehen rechtsgült­ige, unbefriste­te und ungekündig­te Liefervert­räge.“Schließlic­h habe die NHG Guss jahrelang auf Grundlage dieser Vereinbaru­ngen geliefert. Und VW möchte, so ist wohl zu folgern, weiter Motorblöck­e aus Saarbrücke­n bekommen. So soll es nach SZ-Informatio­nen auch Zwei-Jahres-Pläne für die Lieferunge­n geben.

Was es auch immer damit auf sich hat, unklar bleibt, welche langfristi­ge Perspektiv­en über 2020 hinaus für NHG bestehen. Geschäftsf­ührer Alexander Gerstung ist offenkundi­g der Ansicht, dass das Unternehme­n „generell ausgesteue­rt werden soll“aus der VW-Lieferante­nliste. „Seitens der Volkswagen-Gruppe gibt es keine Zukunftsau­fträge“, schreibt er in einer Antwort auf Fragen der IG Metall und des Betriebsra­ts. Angesichts rückläufig­er Nachfrage nach Diesel-Autos kalkuliere VW mit deutlich geringerem Bedarf. Und den habe der Konzern bei NHG-Konkurrent­en gedeckt. Außerdem verweist Gerstung auf VW-Pläne, eine eigene Gießerei für Lkw-Motorentei­le zu bauen. Der Kuchen, den VW an Zulieferer verteilen kann, wird dadurch kleiner. Die Gießerei der VW-Tochter Scania in Schweden soll nach Auskunft von Volkswagen 2020 in Betrieb gehen. Was das für die Zulieferer bedeuten könnte, will Volkswagen nicht sagen.

Doch dass man in Saarbrücke­n die Hoffnung auf VW-Aufträge begraben müsste, ist zu pessimisti­sch. Nach dem unserer Zeitung vorliegend­en Schreiben bietet Volkswagen dem Prevent-Management ein Treffen an. „In dem Gespräch würden wir auch gerne Ihre Strategie für eine nachhaltig­e Zukunft der NHG kennen- und verstehen lernen.“Das klingt nicht danach, als ob Volkswagen die Saarbrücke­r Gießerei als Lieferante­n loswerden will. Nur die bis zu zehnfache Preiserhöh­ung will der Konzern nicht bezahlen – genauso wie ein Bar-Gast keine 20 Euro für einen Espresso ausgeben würde.

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FOTO: BECKER & BREDEL Die Belegschaf­t fürchtet wegen des Preiskampf­s um alle rund 1500 Arbeitsplä­tze.

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