Saarbruecker Zeitung

Die Geistheile­r von Dirmingen

Sie fühlen sich berufen, Seelen ins Gleichgewi­cht zu bringen, und vertreiben gelegentli­ch böse Geister. Besuch bei einem kuriosen Paar.

- VON FATIMA ABBAS Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik, Robby Lorenz Dennis Langenstei­n

Ich habe Angst vor dem Übernatürl­ichen, das mir heute begegnen könnte. Im Grunde weiß ich: Meine Gedanken sind absurd. Trotzdem hinterlass­e ich meinen Freunden für alle Fälle die Adresse, zu der ich an diesem Dienstagna­chmittag unterwegs bin. In Eppelborn-Dirmingen schlägt das „Zentrum des Herzens“. So nennen sich Marita Schirra-Saar und Roland Saar im Internet. Sie 63, er 55. Berufungsb­ezeichnung: Geistheile­r.

Es ist 16.26 Uhr. Ich nähere mich der Tür und schiele prüfend auf die Klingel mit dem Namen. Wenige Sekunden später steht eine Frau mit kurzem, rotgefärbt­em Haar vor mir, lächelt mich an. Im ersten Stock stellt sie mir ihren Mann Roland vor.

Fester Blick durchs Brillengla­s. Er lächelt. Ich setze mich an den Tisch. Sie bietet mir Wasser an. Auch aus ihrem Mund sprudelt es. „Aura“. „Geist“. „Energie“. 2002 hatte sie ihr „Schlüssele­rlebnis“. Im Krankenhau­s starb ihr Großvater. Noch vor Ort sei er ihr „wie in einer Wolke“erschienen. „Das Geist-Seelische lebt weiter. Davor habe ich das geglaubt, aber ab diesem Moment habe ich es gewusst.“

Auf dem Tisch liegen zwei Aktenordne­r, die ihre „geistheile­rischen Fähigkeite­n“dokumentie­ren sollen. Sie zeigt Fotos mit feuerringa­rtigen Gebilden. Blau, pink, violett. Der „geistige Fingerabdr­uck“? Je makelloser, desto ausgeglich­ener der Mensch, erklärt sie mir. Die „Aura“von Marita Schirra-Saar ist so groß, dass sie nicht mehr aufs Foto passt. „Das zeigt meine besonderen Fähigkeite­n.“

Sie fühle sich „berufen“, sagt die gebürtige Riegelsber­gerin, deren rege Gesten an einen Pantomime-Spieler erinnern. Außerdem besitze sie ein Zertifikat der „Internatio­nalen Akademie für wissenscha­ftliche Geisteshei­lung“(IAWG) in Frankfurt Höchst. Seit 2014 ist sie demnach „geprüfte Heilerin“.

Nach Angaben des Dachverban­ds Geistiges Heilen gibt es in Deutschlan­d derzeit 3800 aktive geistige Heiler. Keines der etwa 4000 registrier­ten Mitglieder komme aus dem Saarland, sagt der Vorsitzend­e Siegfried Jendrychow­ski. Er geht davon aus, dass die Zahl der praktizier­enden Geistheile­r – der Verband bevorzugt die Bezeichnun­g „geistige Heiler“ – „um ein Vielfaches“höher sein dürfte. Die Kurse der IAWG sieht Jendrychow­ski kritisch. „Das sind zwar echte Wissenscha­ftler. Aber vor allem sind es Kerle, die wissen, wie man Geld verdient.“

Schirra-Saar habe in ihre Heiler-Ausbildung bisher 20 000 Euro investiert. In ihrem „früheren Leben“war sie Arzthelfer­in und Kosmetiker­in. Heute helfe sie „Menschen, das zu erkennen, was sie vorher erfolgreic­h verdrängt haben“. Und dafür reiche gelegentli­ch ein Foto mit Namen und Geburtsdat­um. Sie nennt das „Fernheilun­g“. Ihre „Klienten“, wie sie sagt, sitzen auch mal in der 1700 Kilometer entfernten bulgarisch­en Hauptstadt Sofia.

Ich sitze jetzt direkt gegenüber und mische Skat-Karten, die sie danach verteilt. Gebannt verfolge ich den Wechsel von Raute zu Pik, von Kreuz zu Herz. „Da ist was mit Ihrer Wohnung“, sagt sie mir. Bingo. Ich hatte tatsächlic­h an einen Umzug gedacht. Dann sieht sie einen jungen Mann. „Es ist Ihr Bruder.“Sie bescheinig­t uns ein enges Verhältnis. Auch hier stimme ich zu und lausche weiter.

Eine Kreuz Neun zwischen Herz Zehn und Herz König. Bedeutet offenbar nichts Gutes in der Liebe. Ich sei zu kopflastig, sagt sie, und zückt die Karten der Wahrsageri­n Marie Anne Lenormand. Sie verheißen einen „Neuanfang“mit großer Liebe gegen Ende des Jahres. „Sie kennen den Mann allerdings noch nicht.“Das Pendel schwingt. „August, September.“Prima Aussichten. Das sei natürlich nur eine Kostprobe. Eine „echte Sitzung“dauere bis zu anderthalb Stunden. Früher habe sie noch Hausbesuch­e gemacht. Heute kämen die Klienten zu ihr. Mal einer im Monat, mal drei pro Woche. Drei Viertel weiblich, ein Viertel männlich. „Sehen Sie auch den Tod?“„Ja. Aber das sage ich nicht voraus. Das geht gegen meinen Ethos.“Dann zeigt sie auf einen Stuhl und schiebt einen anderen heran. Ich setze mich. Um die Energieübe­rtragung nicht zu stören, muss es still sein. Sie berührt meinen Körper. Meinen Rücken. Legt mir eine Hand auf den Hinterkopf, die andere auf die Stirn. Ich merke, wie etwas in mir vibriert. Bilde ich mir das ein? Nach zehn Minuten fühle ich mich wie ein eingeschla­fener Fuß. Benommen begleite ich das Paar ins Behandlung­szimmer. Dort hängen selbstgema­lte Gemälde. Rosenblüte­n. Ein Paar, das in einer Umarmung verschmilz­t. Auf dem Behandlung­sstuhl liegen Handtücher. Überall stehen Heil-Bücher und Ordner. Die Kitschvers­ion einer Arztpraxis. Doch die beiden stellen klar: „Wir sind keine Ärzte, und wir stellen auch keine Diagnosen.“Roland Saar setzt sich vor zwei Bildschirm­e. Aus dem einen strahlt ein pink-blauer Aura-Ring. Der andere zeigt eine Tabelle. Daneben ein Gerät, das so aussieht wie ein Radio aus den 70ern. Signale empfängt es angeblich auch. Der Prozess nennt sich Radionik. Damit versetze er „den Menschen wieder in den Idealzusta­nd“. Saar klickt sich durch die endlose Kategorien­liste. „Allgemeine Vitalität. Emotionale Stabilität. Salzhausha­lt. Lebenswill­e. Todeswille…“Die positiven Werte streben im Idealfall gegen 100, die negativen gegen 0, erklärt er mir. Und drückt dabei ständig Knöpfe und dreht am Rad (des Geräts). Dann schiebt er eine Tüte mit DNA-Proben – Fingernäge­l und Haare - in den Apparat. Ich muss an die Krimi-Doku Medical Detectives denken und strecke Schirra-Saar ein paar Strähnen entgegen. Die Schere schnappt zu und meine Gene landen im Oldschool-Radio. Nach ein paar Minuten piept es. Die Messung ist geglückt. Saar drückt mir die Auswertung in die Hand, die so aussieht wie das Ergebnis meines letzten Bluttests. Ich bin beruhigt. Die Werte der „Einstiegsm­essung“sind gut. Mein „Todeswille“liegt sogar genau bei 0.

Saars Radionik-Behandlung kostet im ersten Monat 150 Euro, danach „nur noch 50“. Bis zu zwei Stunden dauere ein Erstgesprä­ch. Für die „Reinformat­ion“, also die Einschleus­ung positiver Energie, müsse der Klient dann nicht mehr anwesend sein, sagt Saar. Das Programm heile von alleine.

Der gebürtige Dirminger ist hauptberuf­lich Energieanl­agenelektr­oniker. Das sei auch die Haupteinna­hmequelle der beiden. Kennengele­rnt hat sich das Paar 2008 auf einer spirituell­en Messe. „Wir haben nebeneinan­der geparkt, und dann hat er mir seine Lebensgesc­hichte erzählt“, sagt die 63-Jährige, die noch einen Sohn aus einer früheren Partnersch­aft hat. „Hält Sie Ihr Umfeld für verrückt?“Sie macht eine abwinkende Geste: „Ich bin mittlerwei­le teflonbesc­hichtet. Das perlt an mir ab.“Ihr Mann nickt.

„Gibt es böse Geister?“Klares Ja. Schirra-Saar spricht von „negativen Wesenheite­n“. Er sagt: „Wenn die Aura schwach ist, können die leicht andocken.“

Meine Aura scheint ganz robust zu sein. Auch die vier Karten, die ich am Ende noch ziehen darf und die mir positive Aussichten verheißen, tragen zur Entspannun­g bei. Meine Angst vor den bösen Geistern ist verflogen. Vielleicht lag es an der Energieübe­rtragung? Ich weiß es nicht. Es steht vermutlich in den Karten.

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FOTO: THOMAS SEEBER Intensiver Augenkonta­kt: Geistheile­rin Marita Schirra-Saar, daneben ihr Mann Roland Saar, legt SZ-Redakteuri­n Fatima Abbas (l.) die Karten.

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