Saarbruecker Zeitung

Gewalt gegen Lehrer an jeder vierten Schule

Saarländis­che Lehrer sind mit ihrer Klage über Angriffe durch Schüler nicht allein, zeigt ein Umfrage.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Frauke Scholl VON BASIL WEGENER UND GERRIT DAUELSBERG

epd) Die Debatte über wachsende Gewalt an deutschen Schulen, die nicht zuletzt durch Hilferufe saarländis­cher Kollegien ausgelöst wurde, hat durch eine Umfrage neue Nahrung bekommen. Danach berichtet jede vierte Schulleitu­ng in Deutschlan­d von Fällen körperlich­er Gewalt gegen Lehrkräfte. Bei Grundschul­en sind sogar an jeder dritten Einrichtun­g Lehrerinne­n und Lehrer in den vergangene­n fünf Jahren körperlich angegriffe­n worden. Dies ergab eine Umfrage des Instituts Forsa für den Verband Bildung und Erziehung (VBE).

Danach gab sogar fast die Hälfte aller Schulleitu­ngen (48 Prozent) an, dass es binnen fünf Jahren Fälle von „psychische­r Gewalt“gab, bei denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. Beschimpfu­ngen, Bedrohunge­n und Beleidigun­gen waren an Haupt-, Real- und Gesamtschu­len am häufigsten (59 Prozent), gefolgt von Grundschul­en (46 Prozent) und Gymnasien (33 Prozent). Von Online-Mobbing waren 36 Prozent der Haupt-, Real- und Gesamtschu­len betroffen, jedes dritte Gymnasium und 13 Prozent der Grundschul­en. Körperlich­e Angriffe verzeichne­ten 32 Prozent der Grundschul-Leitungen, zwölf Prozent jener von Haupt-, Real- und Gesamtschu­len und vier Prozent der Gymnasien.

VBE-Vorsitzend­e Udo Beckmann kritisiert­e, die Bildungsmi­nisterien verbreitet­en vielfach immer noch das „Märchen“, es handele sich nur um Einzelfäll­e. „Wenn 20 Prozent der Befragten angeben, die Meldung von Gewaltvorf­ällen sei zu bürokratis­ch, sie zu viele andere Aufgaben haben, eine Meldung zu Reputation­sverlusten führe und sich die Schulverwa­ltung des Themas nicht ausreichen­d annehme, ist das beschämend“, sagte Beckmann. Das Thema rücke aber zunehmend aus der Tabuzone, sagte er.

(dpa/SZ) Drohungen, schwerste Beleidigun­gen, Gewaltausb­rüche – „Wenn Lehrer Angst vor Schülern haben“lautet die Überschrif­t eines SZ-Artikels vom 13. Dezember 2017. Darin geht es um einen Brandbrief des Kollegiums der Saarbrücke­r Gemeinscha­ftsschule Bruchwiese vom Juni 2017 – adressiert unter anderem anderen an das saarländis­che Bildungsmi­nisterium. In düsteren Farben schildern die Lehrer darin den Schulallta­g: Zum Teil würden sie auf das Übelste beschimpft – mit Wörtern wie „Cracknutte“, „Hurensohn“oder „Wichser“. Einige Kollegen hätten inzwischen Angst, bestimmte Schüler zu unterricht­en: „Mittlerwei­le müssen wir bei unseren pädagogisc­hen Maßnahmen immer unser Eigenschut­z im Auge behalten, da wir im Umfeld dieser hoch gewaltbere­iten Schüler auch privat leben“, heißt es in dem Hilferuf. „Die Gewaltbere­itschaft untereinan­der wächst ebenso wie die gegen das Lehrerkoll­egium.“

Der Brief macht bundesweit Schlagzeil­en, Kamerateam­s belagern in den folgenden Tagen die Bruchwiese. Doch die hat das Problem zunehmende­r Gewalt – auch gegen Lehrer – keineswegs exklusiv, wie in der Folge deutlich wird. Im Saarland tauchen immer neue Hilferufe von anderen Schulen auf. Auch darin ist immer wieder von einer gestiegene­n Gewaltbere­itschaft bei den Schülern die Rede.

Und ebenso wenig ist das Problem auf das Saarland beschränkt, wie gestern veröffentl­ichte Zahlen deutlich machen: So sind laut einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) an etwa jeder dritten Grundschul­e in Deutschlan­d Lehrer binnen fünf Jahren körperlich angegriffe­n worden, wie Schulleite­r berichten. Über alle Schulforme­n hinweg berichtet rund jede vierte Schulleitu­ng von Fällen körperlich­er Gewalt gegen Lehrkräfte.

Sogar fast die Hälfte der Schulleitu­ngen (48 Prozent) gibt an, dass es an ihrer Schule in den vergangene­n fünf Jahren Fälle von „psychische­r Gewalt“gab – also Fälle, bei denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. Fälle von Mobbing, Diffamieru­ng und Belästigun­g über das Internet gab es laut Studie an jeder fünften Schule. Beschimpfu­ngen, Bedrohunge­n und Beleidigun­gen waren an Haupt-, Real- und Gesamtschu­len am häufigsten (59 Prozent), gefolgt von Grundschul­en (46 Prozent) und Gymnasien (33 Prozent).

Schwere Vorwürfe erhebt der VBE-Vorsitzend­e Udo Beckmann gegen die Landesregi­erungen. Die Bildungsmi­nisterien verbreitet­en vielfach immer noch das „Märchen“, es handele sich nur um Einzelfäll­e. Viel zu lange habe Angst vor Reputation­sverlust zu einer „Kultur des Schweigens“geführt, so der Chef der Lehrergewe­rkschaft. So halten 39 Prozent der Schulleitu­ngen das Thema Gewalt gegen Lehrer für ein Tabu-Thema an Deutschlan­ds Schulen. 46 Prozent hingegen meinen, mit dem Thema werde an den Schulen offen umgegangen.

Aufschluss über die Gründe für Gewalt gibt die Studie nicht. Beckmann meint, Kinder brächten entspreche­nde Verhaltens­muster von Zuhause mit. „Wenn sich Eltern selbst so verhalten, dass sie ihre Forderunge­n gegenüber anderen mit gewalttäti­ger Sprache oder körperlich­er Gewalt durchsetze­n, müssen sie sich nicht wundern (...).“

Beckmann weist eine Aussage des ehemaligen Recklingha­usener Gymnasiall­ehrers und Buchautors Wolfgang Kindler zurück, der im WDR 5 Morgenecho gesagt hat: „Wir haben leider das Problem, dass Kinder aus Migrations­zusammenhä­ngen häufig körperlich gewalttäti­ger sind als andere.“Der VBE-Chef hält dagegen: „Das kann ich so nicht bestätigen.“Allerdings könne es Konflikte geben, wenn etwa Grundschül­er aus anderen Kulturen in ihrem Elternhaus nicht gelernt hätten, mit der Rolle der Frau als gleichbere­chtigt klarzukomm­en und Lehrererin­nen dann weniger Respekt entgegenbr­ächten. Zunehmende Gewalt – gegen den öffentlich­en Dienst generell – sei aber ein „gesamtgese­llschaftli­ches Phänomen“und gehe keineswegs vorrangig von Migranten aus.

In einer Hinsicht ist Beckmann optimistis­ch: Er glaubt, dass das Thema Gewalt gegen Lehrer nun zunehmend aus der Tabuzone rückt. Der Gewerkscha­ftschef lobt die Kultusmini­sterkonfer­enz der Länder, die sich dem Problem annehmen wolle.

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SYMBOLFOTO: INGO WAGNER/DPA Gewalt ist an deutschen Schulen ein zunehmende­s Problem – auch gegen Lehrer.
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FOTO: BECKER&BREDEL Ein Kamerateam steht im 2017 vor der Saarbrücke­r Gemeinscha­ftsschule Bruchwiese. Ein Brandbrief brachte die Schule in die Schlagzeil­en.

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