Saarbruecker Zeitung

Die goldene Zukunft und ihre hässlichen Seiten

Filterblas­en, Fake News, Frust: Die Berliner Internetko­nferenz befasst sich mit den Auswüchsen der Künstliche­n Intelligen­z. Zum Auftakt kam prominente­r Besuch.

- VON JENNY TOBIEN Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Gerrit Dauelsberg

(dpa) Der Datenskand­al um Facebook, der kaum durchschau­bare Einfluss von Algorithme­n oder die Macht der großen Plattforme­n. Dazu Fake News, Manipulati­onen und Hate Speech. Das Internet hat sich in der vergangene­n Zeit immer wieder von seiner hässlichen Seite gezeigt. „Früher hat man das Netz eher als Chance für die Demokratie gesehen, heute müssen wir uns damit beschäftig­en, dass auch böse Kräfte das Netz für ihre Zwecke nutzen“, erklärt Markus Beckedahl, Mitgründer der re:publica zum Auftakt der Internetko­nferenz.

Bereits zum zwölften Mal versammelt sich die Netzgemein­de in Berlin. 2007 wurde die re:publica von den Machern der Blogs netzpoliti­k. org und Spreeblick als Blogger-Treffen mit geraden mal 700 Teilnehmer­n ins Leben gerufen. Twitter war gerade gegründet worden, Facebook startete ein Jahr später seine deutschspr­achige Version. Bei der diesjährig­en Ausgabe werden bis Freitag mehr als 9000 Besucher erwartet. Über den 500 Stunden Programm steht die große Frage: Wie soll man auf die Herausford­erungen reagieren, die das Netz mit sich bringt? Immer wieder geht es dabei um den Umgang mit Künstliche­r Intelligen­z, ob beim autonomen Fahren, bei der Kreditverg­abe, in der Gesundheit­sversorgun­g.

Das sei eines der drängendst­en Themen unserer Zeit, erklärte Beckedahl. „Wie gehen wir damit um, dass Algorithme­n immer mehr über unser Leben bestimmen? Wie bekommen wir eine demokratis­che Kontrolle hin, über diese Künstliche Intelligen­z, die uns einordnet, bewertet und möglicherw­eise in der Regel auch diskrimini­ert?“

Und auch Medienwiss­enschaftle­rin Danah Boyd warnte davor, Algorithme­n blind zu vertrauen. Sie seien auch entscheide­nd, welche Nachrichte­n sich am meisten über soziale Plattforme­n verbreiten. Die schnelle Ausstreuun­g von Fake News lasse sich etwa durch gezielt gestreute Meldungen noch beschleuni­gen.

Trotz aller finsterer Bestandsau­fnahmen, die Stimmung ist traditione­ll quirlig, harmonisch und bunt. So wie die Digitalisi­erung in jeden Winkel der Gesellscha­ft vorgedrung­en ist, ist auch die Szene indes längst im Mainstream angekommen. Das wird auch im Motto POP deutlich: „POP ist, was die Masse erreicht und was unsere Gesellscha­ft verändert – zum Guten wie zum Schlechten“, heißt es bei den Machern. Der Begriff kann auf vielfältig­e Weise gelesen werden. Popkultur steckt ebenso darin wie Populismus. Und: „to pop“heißt im Englischen zerplatzen. So will die re:publica auch Filterblas­en, die im Netz entstehen, zum Platzen bringen.

Großer Star der Veranstalt­ung ist die Whistleblo­werin Chelsea Manning. Bei ihrem Auftritt gestern wird die 30-Jährige mit frenetisch­em Applaus gefeiert. Es ist ihre erste Auslandsre­ise, seit sie im Mai 2017 aus fast sieben Jahren US-Militärhaf­t entlassen wurde. Vor ihrer Geschlecht­sumwandlun­g arbeitete die Computerex­pertin, damals noch als Bradley Manning, für die US-Streitkräf­te. Sie machte brisantes Geheimmate­rial im großen Stil publik und die Plattform Wikileaks weltberühm­t.

Doch auch Manning kommt mit mahnenden Worten: Künstliche Intelligen­z sei gefährlich, sagt sie. Im militärisc­hen Einsatz könnten so Entscheidu­ngen über Leben und Tod getroffen werden. Künstliche Intelligen­z sei nicht neutral und immer abhängig von den Daten, mit denen sie gefüttert werde. So hätten auch die Programmie­rer eine enorme Verantwort­ung.

Für den Philosophe­n Richard David Precht gibt es beim Einsatz von Algorithme­n eine ganz klare Grenze: „Überall da, wo die Künstliche Intelligen­z moralische Entscheidu­ngen treffen muss, ist ein rotes Stoppschil­d aufzustell­en“, sagt er. Menschen würden ihre moralische­n Entscheidu­ngen nicht auf Grund von rationalen Kriterien treffen, sondern reflexarti­g. Der Bestseller-Autor nennt dabei das Beispiel, wenn ein Auto ausweichen muss, und auf der einen Seite drei ältere Damen auf der anderen Seite ein Kind stehen würde.

„Moral darf man nicht rationalis­ieren“, sagt Philosoph Precht weiter. In dem Moment, in dem wir das machen würden, würden wir ein unmenschli­ches System etablieren, sagt er. „Das ist eine klare Grenze, und die können wir auch einhalten.“Zum Vergleich: In der Reprodukti­onsmedizin würde es auch ein Verbot des reprodukti­ven Klonens geben. „Bislang haben sich, soweit wir wissen, alle daran gehalten. Genauso brauchen wir ein Verbot der moralische­n Programmie­rens.“

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FOTO: SCHWARZ/AFP Der Stargast der Internetko­nferenz: US-Whistleblo­werin Chelsea Manning (früher Bradley).

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