„Lieber von etwas träumen, als es zu erleben“
Didier Sustrac singt französisches Chanson zu brasilianischen Melodien. Vom 6. Mai an tourt er in der Großregion.
Der französische Sänger und Musiker Didier Sustrac (58) hat seine Liebe für Bossa Nova in Brasilien entdeckt, wo er zweieinhalb Jahre lebte. Warum er dieses Land so widersprüchlich findet und seine neue CD sich um eine Hafenstadt in Belgien dreht, erzählt er im SZ-Interview.
Herr Sustrac, im Herbst hatten
Sie Ihre Deutschland-Premiere in Saarbrücken. Jetzt starten Sie hier eine Tournee. Hat das deutsche Publikum es Ihnen angetan?
SUSTRAC Das deutsche Publikum ist anders als das Publikum in Paris. Die Zuschauer sind hier aufmerksamer. In Paris finden jeden Abend hunderte von Konzerten statt, das Publikum ist dort verwöhnt. Ich habe aber Glück, weil ich treue Besucher habe, die sich meistens sehr für meine Liedtexte interessieren.
Die Melancholie zieht sich quasi wie ein roter Faden durch Ihre neue CD „Ostende Bossa“. Sind
Sie auch sonst ein nachdenklicher Mensch?
SUSTRAC Ja schon, aber Melancholie muss nicht unbedingt traurig sein. Man kann auch Melancholie empfinden, wenn man einen Sternenhimmel betrachtet, weil man sich in der Natur seiner eigenen Größe als Mensch bewusst wird. Das Gefühl bekommt man ebenso in Großstädten wie Paris, New York und Sao Paulo. In den Menschenmengen fühlt man eine gewisse Melancholie, eine bestimmte Einsamkeit.
Ganz anders als in diesen anonymen Metropolen ist es in der 70 000-Seelen-Stadt Ostende an der belgischen Küste, über die Sie singen. Warum haben Sie ausgerechnet diesen Ort gewählt?
SUSTRAC: Ich habe zwei Jahre lang über Ostende geschrieben, ohne jemals dort gewesen zu sein. Das finde ich spannend. Mich interessiert eher der Traum vom Reisen als die eigentliche Reise an sich. Ich mag Gedankenreisen und stelle mir gerne vor, wie es an einem gewissen Ort wohl sein mag. Es ist schöner, von etwas zu träumen, als es zu erleben. Es ist wie in der Liebe: Es ist oft einfacher davon zu träumen, als sie zu leben.
Also waren Sie noch nie wirklich in der Stadt, von der Sie in Ihren Liedern träumen?
SUSTRAC Doch, mittlerweile schon. Als ich die Fotos für mein CD-Cover gemacht habe, war ich dort. Es war sozusagen die Rückwärts-Reise, von der eigenen Vorstellung in die Realität. Die Stadt hatte ich mir aber größer vorgestellt.
Sie verbinden französisches Chanson und brasilianische Musik. Woher kommt diese Begeisterung für diese Klänge?
SUSTRAC Als Jugendlicher habe ich Folk-Musik gemacht. Mit 18 Jahren habe ich meinen Pass bekommen und bin für ein Jahr nach Venezuela gegangen. Als ich zurückkam, wollte ich wieder weg, diesmal nach Brasilien. Als ich ankam, war die Musik dort für mich wie eine Offenbarung. Ich wollte sofort meine Gitarre tauschen. Damals herrschte noch eine Diktatur, es gab keine Musikgeschäfte wie bei uns. Aber in der Szene waren alle verrückt nach meiner amerikanischen Folk-Gitarre, also war der Tausch gar kein Problem. Ich bin dort zweieinhalb Jahre geblieben. Aber irgendwann ist mir bewusst geworden, dass meine Sprache meine Heimat ist. Dass ich auf Französisch denke, träume und fühle. Ich kann zwar auf Portugiesisch schreiben, aber meine Kultur, meine Symbolik, meine Poesie, kann ich nur auf Französisch ausdrücken.
Aber warum haben Sie nicht versucht, dort französische Chansons zu brasilianischer Musik zu machen?
SUSTRAC Gute Frage, aber ich weiß es nicht. Meine Musik ist natürlich mit Brasilien verbunden, aber meine Wurzeln sind in Frankreich. Ich singe zwar zu Bossa-Nova-Rhythmen, aber meine Texte sind nicht exotisch, sie handeln nicht von Brasilien. Bossa-Nova ist eine Art Spiegel der Musik Brasiliens. Sie ist sehr fein, sehr leise, strahlt aber zugleich eine unglaubliche Energie aus. Und so sind auch die Brasilianer, sie haben eine sehr positive und energiegeladene Ausstrahlung.
Dort ist die Situation zurzeit aber alles andere als einfach, auch politisch. Sie kennen das Land sehr gut, wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
SUSTRAC Das Land hat keine langjährige Erfahrung mit Demokratie. Wie in vielen südamerikanischen Ländern gibt es in Brasilien einen lang verankerten Hang zum Militär. So hat sich auch das Land aufgebaut. Da liegt das ganze Paradox von Brasilien: Auf der einen Seite gibt es diese besondere Zwischenmenschlichkeit, eine Bevölkerung, die extrem herzlich und hilfsbereit ist, und auf der anderen Seite gibt es eine sehr hohe Gewaltbereitschaft. Doch diesen Hang, die freien Geister und ihre Ideen zu bevormunden, gibt es nicht nur in Brasilien. Dieser Trend greift in der ganzen Welt um sich, auch in Europa, wie zum Beispiel in Polen oder Ungarn. Erste Station ist am 6. Mai der Lokschuppen in Dillingen. Danach gastiert Didier Sustrac am
9. Mai im L’aérogare in Metz, am
11. Mai im Kammgarn in Kaiserslautern und am 12. Mai im Café de Paris in Saarbrücken. Im Herbst wird es Konzerte in Saarbrücken (am 6. September im Zucker und Zimt), in Metz (am 7. September im L’aérogare), in Nilvange (am 8. September im Le gueulard) und in Saarlouis (am 9. September auf der Vaubaninsel) geben.