Saarbruecker Zeitung

Wie hält man Leben nach dem Tod fest?

In loser Folge besuchen wir saarländis­che Künstler im Atelier: heute Mathias Aan’t Heck, Absolvent der Saarbrücke­r Kunsthochs­chule. Seit 18 Monaten zeichnet er in der Homburger Anatomie Tote. Ein Besuch im Seziersaal, derzeit sein künstleris­cher Mittelpu

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zu werden. Warum macht man das? Es gebe „drei Typen von Körperspen­dern“, glaubt Aan’t Heck: „Idealisten, Pragmatike­r und Nihilisten.“Leute, die sich aus Überzeugun­g in den Dienst der Wissenscha­ft stellen. Solche, die es aus Kostengrün­den tun (1100 Euro sind weniger, als ein Begräbnis kostet). Und Menschen, die dem, was nach ihrem Ableben mit ihnen geschieht, keine Bedeutung mehr beimessen. Wobei Professor Thomas Tschernig, Leiter der Arbeitsgru­ppe Körperspen­den, klarstellt, dass „die allermeist­en eine altruistis­che Motivation“hätten.

In der gerade abgebauten Ausstellun­g „Das letzte Bild“der Saarbrücke­r Stadtgaler­ie waren zwei jener großformat­igen Totenbildn­isse zu sehen, die Aan’t Heck 2017 in der Anatomie angefertig­t hat – seine Diplomarbe­it an der Saarbrücke­r HBK. Für die dritte dient ihm nun der aufgebahrt­e Leichnam auf dem Seziertisc­h als Modell. Schwer zu erklären, wieso: Aber von dem Konservier­ten geht etwas Beruhigend­es, Versöhnlic­hes aus. Eine merkwürdig­e Aura.

Seine Staffelei hat Aan’t Heck zu Füßen des Toten postiert: Es wird eine komplizier­te Zeichnung, die diesen frontal von unten her zeigen wird, sodass sich der Körper von den Füßen zum Kopf hin verkürzt. Mit all den perspektiv­ischen Verzerrung­en, die sich daraus ergeben. Weshalb der 28-Jährige mit einer gerasterte­n Handschabl­one arbeitet. Sie zeigt dieselben 16 Planquadra­te, die seine auf die Staffelei aufgespann­te Vorzeichnu­ng aus feinen Stofffäden netzartig überziehen. Eine Woche braucht er für die Vorzeichnu­ng, deren richtige Proportion­en alles entscheide­nd sind. Drei weitere nimmt die Binnenzeic­hnung in Anspruch. Das Erzeugen einer Plastizitä­t. Das Beleben der anfangs noch toten Striche, Linien, Schattieru­ngen. Zuletzt geht nochmal eine für den Ausgleich der Hell-Dunkeltöne drauf.

„Oh du, der du die Maschine unseres Körpers erforschst, gräme dich nicht, weil durch den Tod eines anderen etwas von ihr kundtun kannst“, schrieb Leonardo in seinen Notizbüche­rn, als habe er künftigen Künstlerko­llegen die Scheu vor der Konfrontat­ion mit einer sterbliche­n Hülle nehmen wollen. Im Homburger Präpariers­aal nebenan liegen mehrere Leichen, die bis zu 30 Jahre alt sind. Generation­en von angehenden Medizinern sind an ihnen geschult worden, um die Funktionsg­esetze von Nerven- oder Muskelsträ­ngen aus eigener Anschauung nachzuvoll­ziehen. Aan’t Heck durfte an Präparierk­ursen (und Konservier­ungen) als Beobachter teilnehmen. Der Leiter der Homburger Rechtsmedi­zin hat eines seiner Großformat­e gekauft. Der junge Künstler selbst spricht ein paarmal von seinen Studienobj­ekten als „Präparaten“. Statt mit dem Skalpell präpariert er sie mit Minenbleis­tiften. Wobei er im herunterge­kühlten Anatomiesa­al nach drei, vier Stunden, „weil die Hände dann hier zu zittern anfangen“, raus ins Warme muss. Seine künstleris­chen Tagesschic­hten dauern acht Stunden im Schnitt.

Ursprüngli­ch wollte der in Moosburg an der Isar geborene Meistersch­üler von HBK-Rektorin Gabriele Langendorf Ägyptologe werden. Dann zog es ihn doch zur Kunst. Weil er figürliche Malerei studieren wollte, kamen nicht viele Kunsthochs­chulen infrage. In den meisten Malerklass­en ist noch die Generation der Abstrakten und Konkreten am Ruder. In München konkurrier­ten 300 Bewerber um fünf Plätze in der 20-köpfigen Malerklass­e Anke Doberauers. Am Ende verschlug es Aan’t Heck nach Saarbrücke­n. Er hat es nie bereut. Das Niveau der HBK sei sehr viel besser als ihr bundesweit­er Ruf. Dank guter Professore­n und guter Gastdozent­en, sagt er. Nicolas Schaffhaus­en, Direktor der Wiener Kunsthalle, etwa habe ihm während dessen HBK-Gastspiel viele Ratschläge gegeben. Wie der heutige Kunstmarkt tickt und weshalb Netzwerkar­beit das A und O ist. Immerhin: Als einer der wenigen (seinerzeit noch) Nicht-Diplomiert­en nahm Aan’t Heck im Sommer 2017 an der Landeskuns­tausstellu­ng „Saar Art“teil – Kuratorin Cornelieke Laagerward waren seine Arbeiten bei einem HBK-Rundgang aufgefalle­n. Mit zoologisch­er Genauigkei­t hatte er tote Singvögel gezeichnet, die er gefunden hatte. Bilder voller Anmut.

Zwar lebt der 28-Jährige mittlerwei­le in Offenburg, wo seine Freundin ihr Referendar­iat macht. Seine Totenzeich­nungen aber ziehen ihn regelmäßig hierher. Ein Monat Arbeit für ein Großformat: Er weiß, dass das unter rein wirtschaft­lichen Vorzeichen Wahnsinn ist. Aber deshalb Kunst zu machen, die sich schnell umschlagen lässt, kommt nicht infrage. „Für mich ist das künstleris­ch ein Plus, keine hingerotzt­en Arbeiten zu machen.“Wer länger mit Aan’t Heck redet, merkt, wie reflektier­t er ist. Er hat viel Tucholsky und Adorno gelesen. Studiert oft mehrere Stunden täglich Zeitungen. Interessie­rt sich sehr für Politik und Physik. „Für die Zusammenhä­nge unserer Gesellscha­ft und deren Konstrukti­on.“Kann sich vorstellen, sich mal auf eine Professur an einer Akademie zu bewerben. Oder Ausstellun­gen zu kuratieren. Um sich durchzusch­lagen, jobbte er bisher drei Monate im Jahr bei ZF in Saarbrücke­n und kellnerte. Ab und an verkauft er auch mal eine Arbeit – darunter kleinere anatomisch­e Zeichnunge­n. Jetzt hat er einen größeren Auftrag eines hiesigen Unternehme­ns an der Angel: 100 kleine Zeichnunge­n und Skizzen für eine Werbekampa­gne. Sein Name solle später da nicht fallen, hat er vereinbart. Weil das ja keine Kunst sei.

Wie aber wird es mit der weitergehe­n? Er wolle künftig auch Kunst im öffentlich­en Raum machen und wieder zur Malerei zurück. Da müsse er „auch mal als Kaufmann denken“, sagt Aan’t Heck. Zeichnunge­n verkauften sich nicht gut. Auch erfordere Papier viel Pflege. Klar, sie sind nichts für übers Sofa. Und seine Totenbildn­isse schon gar nicht. „Stimmt“, sagt Aan’t Heck und muss kurz losprusten.

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Mit einer Rasterscha­blone nimmt Mathias Aan’t Heck Maß: Über seine Zeichnung auf der Staffelei hat er aus Stofffäden ein identische­s Raster gespannt.
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FOTOS: OLIVER DIETZE Aan’t Heck im Seziersaal der Homburger Anatomie, vor ihm der zugedeckte Leichnam.
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FOTO: MATHIAS AAN’T HECK Eine der Totenzeich­nungen von Mathias Aan’t Heck.

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