Eine gute Portion Karl Marx findet sich überall
Karl Marx, der große deutsche Philosoph, Ökonom und Gesellschaftstheoretiker, könnte morgen seinen 200. Geburtstag feiern. Tot ist er seit
135 Jahren. Kaum ein Denker hat die Geschicke der Welt so verändert wie er. Allerdings ist auch selten jemand bei der Umsetzung seiner Theorien so missverstanden worden wie Marx. Offiziell brachen die sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnungen, die sich auf Karl Marx beriefen, vor knapp 30 Jahren zusammen oder halten – wie China – nur noch die ideologische Hülle hoch. Doch die Thesen des Trierers verstauben keineswegs in den Archiven, wie manche frohlockten.
Denn Marx hat den Kapitalismus und seine Fehlbildungen tiefgründiger als jeder andere gedanklich durchdrungen. Seine Kritik an der Kumulation des Kapitals, das die Gesellschaften zerreißt und die Kluft zwischen Arm und Reich ständig vergrößert, ist so aktuell wie vor 170 Jahren, als Marx und sein Freund Friedrich Engels das Kommunistische Manifest veröffentlichten. Täglich haben wir vor Augen, wie selbst im reichen Europa immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden ohne Hoffnung, jemals wieder ein Leben frei von materiellen Sorgen führen zu können. Sie sind zwar nicht mehr mit dem Lumpenproletariat des 19. Jahrhunderts zu vergleichen, dessen Elend Marx beschrieb und dem er eine Stimme gab. Doch die gesellschaftspolitische Explosionskraft ist nicht geringer geworden.
Eine gute Portion Marx findet sich auch in der Analyse der Finanzkrise. Für ihn kann Geld allein keine Werte schaffen, auch wenn wir allzu gerne glauben, dass man sein Geld „arbeiten“lassen kann. Doch Zinsen und Dividenden sind nur das Ergebnis der Arbeit anderer – nämlich der Leute, die in diesen Firmen arbeiten, die ihnen nicht gehören. Wird diese Arbeit nicht mehr geleistet, sind die Papiere der Unternehmen wertlos, auch wenn Anlegern etwas anderes vorgegaukelt wird.
Auch die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit, die Marx heftig kritisierte, rückt erneut in den Mittelpunkt der Diskussion – diesmal aber vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Wie stark prägt die Technik in Zukunft unser Arbeitsund Privatleben, zumal die Grenzen jetzt schon verschwimmen? Bereiten wir nicht heute schon den Nährboden für ein digitales Proletariat, das mit dem Wandel der Arbeitswelt nicht mehr mithalten kann?
Außerdem verliert die Rolle des Geldes als Produktionsfaktor in der digitalen Wirtschaft an Bedeutung. Informationen sind das neue Kapital, Computer schaffen ihr eigenes Geld. Die Folgen: Daten-Kraken umspannen die Welt, saugen sich in unserem Leben fest, bergen die Gefahr neuer Unfreiheit und großer Abhängigkeit.
Die Widersprüche, mit denen sich Karl Marx beschäftigte, sind also keineswegs aufgelöst. Doch das schaffen keine Revolutionen, wie uns der reale Marxismus gelehrt hat. Denn auch Marx wusste schon, „dass alle Revolutionen bisher nur eines bewiesen haben, nämlich, dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht der Mensch.“