Saarbruecker Zeitung

Wenn die Hilfe erzwungen werden muss

Beim 3. Saarländis­chen Jugendgeri­chtstag wurden geschlosse­ne Einrichtun­gen für Jugendlich­e zum Thema.

-

NONNWEILER (dla) Ab wann können oder sollten auffällige Jugendlich­e geschlosse­n untergebra­cht werden? Darum drehte sich ein Workshop der Psychiater­in Nicola Hörster-Fuchs gestern beim 3. Saarländis­chen Jugendgeri­chtstag in Nonnweiler. Bei der geschlosse­nen Unterbring­ung geht es nicht zwangsläuf­ig darum, Jugendlich­e einzusperr­en, die zuvor mit Straftaten aufgefalle­n sind. Es geht viel eher um Jungen und Mädchen, die therapeuti­sche oder pädagogisc­he Hilfe brauchen und deren Familien mit der Situation trotz Unterstütz­ung der Jugendhilf­e und ähnlicher Institutio­nen nicht mehr zurecht kommen. Etwa, weil die Jugendlich­en sich jeglicher Hilfe verweigern, weil sie von zu Hause abhauen und manche sich sogar für Drogen prostituie­ren.

Auf dem Schreibtis­ch der Fachärztin für Kinder und Jugendpsyc­hiatrie aus St. Wendel landen etwas mehr als 40 solcher Fälle pro Jahr. „Bei etwa 30 halte ich die geschlosse­ne Unterbring­ung für notwendig“, erklärt Hörster-Fuchs. Sie schränkt jedoch ein: „Eine solche Maßnahme funktionie­rt nicht bei allen, aber bei einigen.“Innerhalb von vier bis sechs Wochen sei zu erkennen, „ob der Jugendlich­e das Konzept annimmt“. Die Hürden für eine solche Unterbring­ung sind allerdings hoch, schließlic­h wird dem Jugendlich­en seine Freiheit genommen. Auf den Antrag der Sorgeberec­htigten folgt eine Anhörung durch Richter, ein Rechtsbeis­tand muss die Interessen des Jugendlich­en vertreten, und ein psychiatri­sches Gutachten muss erstellt werden. Letzteres ist dann die Aufgabe der 48-Jährigen. Auch eine Eigen-, Fremd- oder Kindeswohl­gefährdung muss gegeben sein. „Aber ein ‚Er bedroht die Mama mit dem Messer’ reicht nicht“, sagt sie, und: „Wo ist die Grenze? Rein rechtlich ist das umstritten.“

Hinzu komme der Mangel an Plätzen. 370 gibt es bundesweit. Die meisten in Bayern und Baden-Württember­g, allerdings keine im Saarland. „Es ist schwer die Klientel aus dem Saarland irgendwo unterzubri­ngen“, sagt sie. Und auch der Erfolg einer geschlosse­nen Unterbring­ung sei bisher kaum durch Studien belegt. Auch gäbe es kein einheitlic­hes Konzept und die Einrichtun­gen könnten sich ihre Schützling­e selbst aussuchen. „Es sind einige schon aus geschlosse­nen Unterbring­ungen rausgeflog­en, weil die Jugendlich­en ihnen zu schwierig waren.“

Daneben habe sich auch die Klientel gewandelt. Wo es früher eher die Jungen waren, seien seit einigen Jahren die Mädchen bei den Fallzahlen gleichauf. Zwar sei bei ihnen die Zahl der Selbstverl­etzungen gefallen, dafür seien die Drogen mehr in den Vordergrun­d gerückt. Und damit gehe oftmals Beschaffun­gskriminal­ität und eventuelle Prostituti­on einher. Cannabis und Amphetamin­e seien besonders häufig genutzte Drogen. „Dabei unterschät­zen viele, dass der Konsum von Cannabis bei drei bis vier Prozent eine Psychose auslösen kann.“

Hörster-Fuchs positionie­rte sich beim Workshop zwar als Befürworte­rin der geschlosse­nen Unterbring­ung, „wenn das Konzept passt“. Plädierte jedoch für eine bessere Verzahnung mit der Jugendpsyc­hiatrie und Nachfolgem­aßnahmen.

 ?? FOTO: D. LANGENSTEI­N ?? Nicola Hörster-Fuchs, Fachärztin für Kinder und Jugendpsyc­hiatrie.
FOTO: D. LANGENSTEI­N Nicola Hörster-Fuchs, Fachärztin für Kinder und Jugendpsyc­hiatrie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany