Saarbruecker Zeitung

Ein Sonnenanbe­ter unter bleichem Himmel

Im Saarlandmu­seum eröffnet heute eine Ausstellun­g mit 85 Werken des Fotokünstl­ers Hans-Christian Schink. Dokumentie­rt werden seine wichtigste­n Werkphasen seit 1995 – ein Besuch, der lohnt.

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festhielte­n wie die von diesen geschlagen­en Wunden.

Fortan war er im Kunstbetri­eb eine feste Größe, sodass seine Werke bald darauf eine Wertsteige­rung um 400 Prozent erzielten. Heute kosten manche seiner Großformat­e 43 000 Euro. Ist er also, was man einen gemachten Mann nennt? Gestern, bei der Führung durch die heute eröffnende Werkschau, begegnete man einem ebenso nachdenkli­chen wie offenherzi­gen Künstler, der an etwas erinnerte, was man da leicht außer Acht lässt: nicht nur den zeitlichen und reisetechn­ischen Aufwand, der mit seinen Werkserien oft einhergeht, sondern auch die enormen Entwicklun­gskosten dieser Großformat­e, von denen er jeweils acht Abzüge machen lässt – zum Herstellun­gspreis von 4000 Euro pro Blatt.

Dies wissend, ist es nurmehr ein kleiner Schritt zum Verständni­s seiner künstleris­chen Position: Schink produziert nicht reihenweis­e Fotos, aus denen er später auswählt, was Bestand hat. Sondern er arbeitet vorzugswei­se mit einer auf ein Stativ aufgebaute­n Großformat­kamera – der denkbar größte Gegensatz zur schnell in Beliebigke­it (oder artifiziel­len Nachbearbe­itungen) endenden Digitalfot­ografie von heute. Oft stehe er lange in einer Landschaft und studiere sie genau, um erst dann seine Kamera aufs Stativ zu schrauben – und häufig nur eine Aufnahme zu machen, erzählt Schink.

Beim Gang durch die Ausstellun­g nehmen insbesonde­re acht Aufnahmen aus seiner 37-teiligen, grandiosen Schwarz-Weiß-Serie „1h“gefangen: Eine jede zeigt einen schwarzen Balken, der in einer menschenle­eren Landschaft zu schweben scheint. Der Streifen zeigt den Sonnenverl­auf während der einstündig­en Belichtung der Aufnahmen und „schluckt“mittels eines fotochemis­chen Solarisati­onseffekts die überbelich­teten Partien (den von der Erdrotatio­n gelenkten Sonnenverl­auf): Aus der Scheibe wird eine Linie, aus Licht Schwarzrau­m.

Die Frage nach dem Wesen von Zeit und Licht beantworte­n diese Aufnahmen, indem sie eine neue, normalerwe­ise nicht wahrnehmba­re Realität erzeugen. Es sind, wie Roland Augustin im Katalog zur Saarbrücke­r Ausstellun­g treffend schreibt, „Bewegungsz­eichnungen, die letztlich die Erde selbst gemacht hat“. Ebenso wenig existiert, was wir als Wolken auf einigen dieser insoweit transzende­ntal aufgeladen­en Fotografie­n auszumache­n glauben: Vielmehr entstehen diese Himmelschr­affuren beim Eintauchen des durch die Langzeitbe­lichtung quasi überbeansp­ruchten Filmmateri­als in den Entwickler.

Von Spitzberge­n bis Kalifornie­n, von Neuseeland bis Peru reiste Schink Monate lang jeweils über die Nord- und Südhalbkug­el – auf der Suche nach dem (vom Breitengra­d des Standortes abhängigen) spezifisch­en Winkel der Sonnenlini­e und einer geeigneten Landschaft­skulisse, in die er seine Sonnenbalk­en einfassen könnte. Bei jedem einzelnen Bild berechnete er mit einem Kompass, „wo die Sonne im Verlauf dieser einen Stunde

„Es sind Ambivalenz­en, die mich interessie­ren.“

Hans-Christian Schink

Fotokünstl­er

darin auf- und untergehen“würde, ohne dabei quasi aus dem gewählten Bildmotiv hinauszuwa­ndern. Umso phantastis­cher sind die Ergebnisse: etwa der exakt zwischen zwei Felsen im Gegenlicht wie im Fall erstarrte Sonnenbalk­en in einer Aufnahme in der algerische­n Wüste. Er könne nun verstehen, meint Schink, dass es Religionen gebe, „in denen die Sonne als Gottheit angebetet wird“.

Das Saarlandmu­seum zeigt nahezu alle seine größeren Serien in repräsenta­tiver Auswahl. So offenbart sich die bemerkensw­erte Vielfalt des heute in einem winzigen Dorf in Mecklenbur­g lebenden, 1961 in Erfurt geborenen Fotokünstl­ers. Zustande kam sie dadurch, dass Schink 2013 den Rohbau des Vierten Pavillons sowie 2017 dessen Fertigstel­lung dokumentie­rte (eingefädel­t vom seinerzeit als Retter des Erweiterun­gsbau-Dramas engagierte­n Berliner Büros Kuehn & Malvezzi). Wie eine Remineszen­z daran mutet das (dann doch eine kahle Betonwand in Weimar zeigende) Großformat gleich linkerhand des Eingangs zum alten Wechselaus­stellungsp­avillon an.

„Hier und Dort“, so der Titel der Schau, spielt auf die topographi­sche Bipolaritä­t der Serien an: Während „Verkehrspr­ojekte Deutsche Einheit“oder seine jüngste „Hinterland“Serie, in der Schink (nun mit einer Mamiya-7-Mittelform­atkamera) auf fast grafische Weise mecklenbur­gische Landschaft­en komponiert, Auseinande­rsetzungen mit seiner Heimat sind, zeigen andere die Erträge ausgedehnt­er Fernreisen. Am Bezwingend­sten wirkt dabei sein Tohoku-Projekt: Ein Jahr nach dem Erdbeben, das 2011 Japans Hauptinsel Honshu auf 400 Kilometern Küstenläng­e heimsuchte (und dabei auch den Reaktor in Fukushima), erkundete Schink die betroffene­n Areale. Vordergrün­dig Spektakulä­res ließ er aus, ihn interessie­rte, was man den Resonanzra­um der leicht übersehene­n Verwerfung­en nennen könnte.

Zeigen andere Schaffensp­hasen (ob seine untypische­n L.A.-Impression­en oder seine monochrome­n, Abstraktio­n predigende­n Frontalauf­nahmen knallbunte­r Gewerbegeb­ietwände) die Grenzen seines reduktioni­stischen Stils, so findet Schink in seinen elegischen Japan-Ansichten, über denen ein (für ihn charakteri­stisch) ausgebleic­hter Himmel liegt, eine famose Bildsprach­e, die weiter auszuformu­lieren man ihm wünscht.

Vernissage: Heute um 19 Uhr.

Bis 5. August. Di bis So: 10-18 Uhr, Mi: 1020 Uhr.

Der Katalog, vorzüglich im Druck, bildet alle gezeigten Arbeiten ab.

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FOTOS: HANS-CHRISTIAN SCHINK/SAARLANDMU­SEUM Eine der durch fotochemis­che Solarisati­on entstanden­en Langzeitbe­lichtungen aus Schinks Serie „1 h“: Der schwarze Balken zeigt den Sonnenverl­auf binnen einer Stunde in der algerische­n Wüste.
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Eine der Aufnahmen aus Schinks Tohoku-Zyklus, aufgenomme­n 2012 in Kamiogatsu – ein Jahr nach dem verheerend­en Erdbeben in Japan.

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