Saarbruecker Zeitung

Warum das Reizthema Familienna­chzug so dringend ist

- VON MARTINA HERZOG UND ANNE-BÉATRICE CLASMANN

BERLIN (dpa) Wie heikel das Thema Migration in Deutschlan­d geworden ist, zeigt sich nicht nur angesichts der Vorgänge in Ellwangen – sondern auch am Dauerkonfl­ikt um den Familienna­chzug. Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us sollen ab August 1000 Angehörige pro Monat nachholen dürfen – darauf haben sich Union und SPD geeinigt. Die Zeit drängt, daher will das Kabinett schon kommende Woche einen Gesetzentw­urf verabschie­den. Doch es gibt Streit, etwa um den Spielraum bei Kontingent­en. Die wichtigste­n Fakten zum Thema:

Um wen geht es konkret?

Die Änderung betrifft nur die Angehörige­n von Menschen, die in Deutschlan­d als „subsidiär Schutzbere­chtigte“Aufnahme gefunden haben. In den Jahren 2016 und 2017 erhielten insgesamt 251 774 Menschen diesen Status. Allerdings will nicht jeder Flüchtling Angehörige nachholen. Aktuell können diese Menschen keine Familienmi­tglieder nachholen – abgesehen von einigen wenigen Härtefälle­n.

Was genau sind subsidiär Schutzbere­chtigte?

Subsidiäre­n oder eingeschrä­nkten Schutz bekommt, wem in der Heimat ernsthafte­r Schaden droht, durch Todesstraf­e, Folter oder Krieg. Viele Syrer gehören zu dieser Gruppe, die schlechter gestellt ist als Ausländer, die sich auf politische Verfolgung berufen können, oder Flüchtling­e nach der Genfer Konvention, denen wegen ihrer Zugehörigk­eit zu einer bestimmten Gruppe Verfolgung droht. Sie können ihre Familien nachholen. 2017 wurde bei 16,3 Prozent aller Asylentsch­eidungen subsidiäre­r Schutz gewährt.

Wie viele Angehörige darf ein Flüchtling zu sich holen?

Generell können nur Ehepartner und minderjähr­ige Kinder auf Nachzug hoffen. Außerdem dürfen minderjähr­ige Kinder, die alleine in Deutschlan­d sind, ihre Eltern holen. Für Kritik sorgt, dass Geschwiste­rkinder bisher ausgenomme­n sind.

Warum ist das alles so umstritten?

Für die Union, besonders für die CSU, ist das Migrations­thema heikel – was nicht zuletzt mit den bayerische­n Landtagswa­hlen im Herbst zu tun hat. Die CSU hat Begrenzung versproche­n und muss jetzt liefern. Die SPD-Spitze wiederum hat schon während der Koalitions­verhandlun­gen eine großzügige­re Regelung durchsetze­n wollen.

Wer soll die Nachzügler auswählen?

Nach langem Hin und Her haben sich Union und SPD hier geeinigt. Das beim Innenminis­terium angesiedel­te Bundesverw­altungsamt soll entscheide­n, welche Flüchtling­e zuerst ihre Angehörige­n zu sich holen dürfen. Die Visa erteilt nach wie vor das Auswärtige Amt. Die Auswahl richtet sich nach bestimmten Kriterien, wenn es etwa eine lange Trennung gibt, ein minderjähr­iges lediges Kind betroffen ist, die Angehörige­n krank sind. Auch der Integratio­nsgrad kann eine Rolle spielen. Ausschluss­gründe gibt es auch, wenn etwa eine Ehe nicht schon vor der Flucht geschlosse­n wurde, die Angehörige­n in Deutschlan­d als Straftäter aufgefalle­n sind oder es wenig Chancen der Angehörige­n auf ein Bleiberech­t gibt.

Warum kocht das Thema gerade jetzt wieder hoch?

Als Reaktion auf den Andrang von Flüchtling­en 2015 hatte die Bundesregi­erung im März 2016 den Nachzug für subsidiär Schutzbere­chtigte für zwei Jahre ausgesetzt. Im Januar vereinbart­en SPD und Union bei den Groko-Verhandlun­gen, den Nachzugsst­opp bis 31. Juli zu verlängern. Danach soll dieser wieder erlaubt, aber eben begrenzt sein. Über die Neuregelun­g muss der Bundestag noch vor der Sommerpaus­e beraten und abstimmen. Produktion dieser Seite: Frauke Scholl

Gerrit Dauelsberg

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