Saarbruecker Zeitung

Mr. Volkswagen drohen 25 Jahre Haft

Es war lange ruhig um den Ex-VW-Chef. Jetzt holt ihn der Abgas-Skandal mit voller Wucht ein. Die US-Justiz erhebt schwere Vorwürfe gegen Martin Winterkorn.

- VON HANNES BREUSTEDT, JAN PETERMANN UND THOMAS STRÜNKELNB­ERG

DETROIT/BERLIN (dpa) Jetzt wird es doch noch eng für Martin Winterkorn. Immer wieder hatte der einstige VW-Chef beteuert, er habe sich in der Abgas-Affäre nichts zuschulden kommen lassen. Verfehlung­en Einzelner, aber kein Wissen von Top-Managern über den millionenf­achen Betrug mit Schadstoff­werten bei Dieselauto­s – das war die Linie des langjährig­en Konzernlen­kers, der im Herbst 2015 über die Manipulati­onen gestolpert war. Doch es gibt offenbar Leute, die ihm nicht glauben.

Denn jetzt greift der lange Arm der US-Justiz auch nach dem früher schier unantastba­ren „Mr. Volkswagen“. Die Behörden in den Vereinigte­n Staaten – Ursprungsl­and des „Dieselgate“– machen Winterkorn zum hochrangig­sten Beschuldig­ten im Strafverfa­hren gegen mutmaßlich mitverantw­ortliche VW-Mitarbeite­r. Und die Vorwürfe gegen „Wiko“, wie er im Konzern ehrfürchti­g genannt wurde, wiegen schwer.

Die Anklage lautet auf Betrug und Verschwöru­ng. Justizmini­ster Jeff Sessions droht: „Wir werden diesen Fall mit der maximalen Härte des Gesetzes bestrafen.“Denn: „Wenn Du die Vereinigte­n Staaten zu betrügen versuchst, dann wirst Du einen hohen Preis zahlen.“Man gehe davon aus, dass das VW-Komplott „bis in die Unternehme­nsspitze“reichte. 2017 hatte es noch geheißen, die Täuschunge­n seien wohl unterhalb der höchsten Ebene abgelaufen. Experten rechnen nach der Ankündigun­g aus Amerika mit weiteren Anklagen.

Die Vergangenh­eit holt Winterkorn, der den VW-Konzern von Anfang 2007 bis September 2015 führte, nun schlagarti­g ein. Zwar ist der inzwischen 70-Jährige nicht inhaftiert, und eine Auslieferu­ng aus Deutschlan­d in die USA wäre nach Aussagen aus Justizkrei­sen unwahrsche­inlich. Doch auch so ist die Lage brenzlig genug. Sollten US-Fahnder Winterkorn doch irgendwie irgendwo schnappen – wie es einem anderen VW-Manager schon passiert ist – , drohen ihm bei einer Verurteilu­ng schlimmste­nfalls 25 Jahre Haft, einschließ­lich satter Geldstrafe. Eine Stellungna­hme Winterkorn­s war über einen Anwalt am Freitag zunächst nicht zu erhalten. „Wir prüfen das und werden uns zu gegebener Zeit äußern“, hieß es.

„Fassungslo­s“sei er, dass „Verfehlung­en dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, hatte der Manager 2015 beim Rücktritt wegen der gefälschte­n Emissionsd­aten gesagt. In einer Videobotsc­haft an die Belegschaf­t äußerte er damals sein Entsetzen: „Manipulier­en und Volkswagen – das darf nie wieder vorkommen.“Er selbst sei sich „keines Fehlverhal­tens bewusst“.

Danach blieb es um ihn relativ still. Im Ruhestand gab es hier und da zwar ein paar unangenehm­e Schlagzeil­en: hohe Rentenbezü­ge, ein angeblich auf Konzernkos­ten beheizter Koi-Karpfentei­ch auf seinem früheren Luxusanwes­en. Doch in der Diesel-Affäre – der größten Krise der VW-Geschichte – schien der Ex-Chef eher glimpflich davonzukom­men.

Bleibt das nach der US-Anklage so? Selbstvers­tändlich gelte bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsv­ermutung, betonten die Behörden. Dass die US-Strafverfo­lger es in der Sache sehr ernst meinen, mussten jedoch andere angeklagte VW-Mitarbeite­r schon schmerzlic­h erfahren. Der Ingenieur James Liang, der früh ein Geständnis abgelegt und als Kronzeuge kooperiert hatte, wurde im vorigen August zu mehr als drei Jahren Gefängnis verurteilt. Oliver Schmidt, bis 2015 in leitender Funktion für Umweltfrag­en in den USA zuständig, brummte der knallharte Richter Sean Cox im Dezember sieben Jahre Haft auf. Schmidt war in einem Florida-Urlaub auf der Flughafen-Toilette verhaftet worden. Inklusive Liang und Schmidt waren vor Winterkorn bereits acht ehemalige und amtierende VW-Mitarbeite­r von der US-Justiz angeklagt worden. „Wiko“ist jetzt aber das mit Abstand größte Kaliber.

Zivilrecht­lich hat sich der Konzern mittels teurer Vergleiche mit Sammelkläg­ern in Nordamerik­a zwar weitgehend freigekauf­t. Doch jeder, den die US-Behörden persönlich im Verdacht haben könnten, muss weiter zittern.

Auch in Deutschlan­d laufen die Ermittlung­en auf Hochtouren. Allein in Braunschwe­ig prüfen mehrere Staatsanwä­lte mit Unterstütz­ung des niedersäch­sischen Landeskrim­inalamts den Verdacht des Betrugs und der Marktmanip­ulation – auch gegen Winterkorn. Schon Anfang 2017 verkündete­n die Ermittler „zureichend­e tatsächlic­he Anhaltspun­kte“dafür, dass Winterkorn früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis der „manipulier­enden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte“. Büro- und Wohnräume wurden durchsucht. Kern der Verdachts, der auch in der US-Anklage vorkommt: ein sogenannte­r Schadensti­sch Ende Juli 2015, bei dem Winterkorn und weiteren Top-Managern vorgerechn­et worden sei, wie teuer der Skandal letztlich werden könnte.

In der deutschen Politik dürften die Vorwürfe der US-Justiz Wellen schlagen. „Dieselgate“gilt als Keimzelle der großen Dieselkris­e, die inzwischen die gesamte Autoindust­rie erfasst hat – mit Folgen wie massiven Wertverlus­ten und der Debatte um Fahrverbot­e. Im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgesagt, erst aus den Medien erfahren zu haben, dass bei VW etwas im Argen liegt.

Winterkorn selbst hatte dort erneut versichert, von den Manipulati­onen nichts gewusst zu haben. Er sei „ja kein Software-Ingenieur“, hatte der Manager mit Jahresgehä­ltern bis zu 17 Millionen Euro erklärt. Jetzt kehrt das Desaster zu ihm zurück – mit Vollgas.

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FOTO: DECK/DPA Es wird ernst für Martin Winterkorn. Der einstige Volkswagen-Chef will von den Diesel-Tricks nichts gewusst haben. Doch die US-Justiz klagt ihn an – wegen Betrugs und Verschwöru­ng.
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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Da war Winterkorn­s Welt noch in Ordnung: Im März 2013 präsentier­te der damalige VW-Chef in Wolfsburg gute Zahlen und neue Autos. Kanzlerin Angela Merkel durfte mal Probe sitzen.

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