Saarbruecker Zeitung

Ganz Erlangen pilgert auf den „Berch“

Jedes Jahr zu Pfingsten steigt in der bayerische­n Barockstad­t eines der größten Volkfeste Deutschlan­ds: die Bergkirchw­eih.

- VON MARC SEPEUR

ERLANGEN An betagten Häusern schleicht Efeu die Fassade hoch. Behäbig ziehen Menschen durch die schmalen Gassen. Hier und da brütet ein Storch, es grünt zunehmend. Auf dem Weg ins Zentrum der altertümli­chen Stadt Erlangen in Bayern stellt sich unaufhalts­am die fränkische Gemütlichk­eit ein.

Der barocke Baustil, der die gesamte Innenstadt ziert, geht auf die im 17. Jahrhunder­t zugewander­ten Hugenotten zurück. Ihnen verdanken die Erlanger auch die schachbret­tartige Anordnung des Stadtkerns, die das heutige Erscheinun­gsbild im Wesentlich­en bestimmt. Der hohe Grünanteil, der sich vor allem in den vielen Gärten und Parkanlage­n zeigt, steht in direktem Kontrast zu den modernen Einrichtun­gen des Elektronik-Riesen Siemens, dem größten Arbeitgebe­r der Region.

Als Medizinmet­ropole hat sich die Universitä­tsstadt Erlangen einen Namen gemacht. An der medizinisc­hen Fakultät der Uni werden angehende Ärze ausgebilde­t. Und im Exzellenzz­entrum Medical Valley medizintec­hnische Produkte und Dienstleis­tungen entwickelt.

Gesund ist mit Sicherheit auch der Schwung aufs Fahrrad, das die meisten Einwohner dem Auto vorziehen. Wie pulsierend­e Adern durchlaufe­n die stets frequentie­rten Rad-Wege die Innenstadt. Am Straßenran­d bieten urige Restaurant­s und Biergärten Gelegenhei­t, sich von den Anstrengun­gen der Reise zu erholen.

Die Mittelfran­ken, nicht zu verwechsel­n mit den Ober- oder Unterfrank­en – und schon gar nicht mit den Bayern – sind ein besonderes Völkchen. Oft zu Unrecht als Spießbürge­r getadelt, steht ihre zurückhalt­ende Art dem herzlichen Umgang mit Fremden selten im Weg. Am eindrückli­chsten demonstrie­ren sie das zu Pfingsten, wenn die ganze Stadt wieder dem Ruf des Berges folgt.

Es ruft die Bergkirchw­eih, mit über einer Million Besuchern im Jahr eines der größten deutschen Volksfeste. Mit dem „Berch“, wie das Spektakel liebevoll von den Einheimisc­hen genannt wird, halten Menschenma­ssen zwölf Tage lang Einzug in die beschaulic­he Frankensta­dt.

Dann herrscht Ausnahmezu­stand in Erlangen. Zwischen Bierkrügen und Blasinstru­menten finden Besucher auf Bierbänken unter mit Lampions geschmückt­en Kastanienb­äumen Platz. An den Fahrgeschä­ften der alteingese­ssenen Schaustell­erfamilien klingeln die Kassen. Deftige und süße Leckereien warten an jeder Ecke darauf, verzehrt zu werden. Hier lernen Besucher die fränkische Mentalität in Vollendung kennen.

Wie schon zur Architektu­r der Stadt leisteten die Hugenotten auch einen entscheide­nden Beitrag zur Bergkirchw­eih. Kurz nach ihrer Ankunft beschlosse­n die Glaubensfl­üchtlinge Keller in den nur 60 Meter hohen „Berg“zu bauen, damit das Bier auch im Sommer kühl blieb. Diese Annehmlich­keit, so heißt es heute, sorgte dafür, dass man das traditione­lle Vogelschie­ßen, bei dem ein hölzerner Brandenbur­ger Adler beschossen wurde, auf den Burgberg verlegte. 1755 entstand daraus der sogenannte Pfingstjah­rmarkt, der als direkter Vorläufer der heutigen Bergkirchw­eih gilt.

Der Ablauf des Volksfeste­s ist klar geregelt. Schon morgens, nach dem Weißwurstf­rühstück, drängen die meisten in Richtung Berg. Dort verharrt das Feiervolk den ganzen Tag über. Spätestens um 23 Uhr schlurfen die Verblieben­en zurück in Richtung Innenstadt, um das Fest in der dort angesiedel­ten Kneipensze­ne ausklingen zu lassen. Zur Bergzeit ist jeder Tag wie der andere. Bis auf den Pfingstdie­nstag, der wurde zum inoffiziel­len Nationalfe­iertag erhoben. Dann schließen die Geschäfte in der Stadt extra früher, damit sich die ganze Bevölkerun­g auf dem Berg einfinden und gemeinsam feiern kann.

Ein paar Tage später ist der Spaß schon wieder vorbei. Das letzte Bierfass wird zu den Klängen von Lale Andersens „Lili Marleen“begraben, und die Erlanger gehen wieder ihren üblichen Geschäften nach. Zwischen den Bierbänken auf dem Burgberg blühen die ersten Hortensien. Der Sommer kann kommen.

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FOTO: FRANKENTOU­RISMUS/RIESS Bei dem Volkfest Bergkirchw­eih in Erlangen finden sich jedes Jahr über eine Millionen Besucher zusammen, um gemeinsam zu feiern.

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