Saarbruecker Zeitung

Bald „Werte-Unterricht“für Flüchtling­e?

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CDU und CSU wollen an Schulen in ganz Deutschlan­d einen sogenannte­n „Wertekunde-Unterricht“für Kinder von Flüchtling­en einführen. Pädagogen sind alles andere als begeistert.

Nun gehen CDU und CSU also mit der Forderung spazieren, Flüchtling­skinder müssten – neben der Sprache – erstmal deutsche Werte lernen, bevor sie in eine reguläre Klasse dürfen. Werteunter­richt nennt sich das Fach, oder auch Rechtstaat­skunde. Auf dem Programm stehen Pressefrei­heit, Gewaltente­ilung, Gleichbere­chtigung, Demokratie.

Nichts gegen das Ziel. Dass Flüchtling­skinder das alles begreifen, ist für ihre Integratio­n absolut notwendig. Aber ein paar Nachfragen zum konkreten Vorschlag: Ab welchem Alter soll das Unionsmode­ll denn gelten? Für Kleinkinde­r im Vorschulal­ter wäre der gefragte Lernstoff zu hoch. Ahmed, du darfst die Aishe nicht schlagen, das kann man auch ohne Extrafach vermitteln. Das Modell wird also nur für Jugendlich­e sinnvoll sein, die wertemäßig in ihrer alten Heimat schon relativ stark geprägt wurden.

Dann stellt sich aber die zweite Frage: Warum nur Flüchtling­skinder? Haben nicht andere auch Bedarf? Zum Beispiel deutsche Kinder aus Haushalten, in denen geprügelt oder gesoffen wird? Oder wo die Eltern viel Geld, aber keine Zeit haben, Regeln zu vermitteln? Oder Kinder, deren Eltern aus Ländern mit zweifelhaf­ten Erziehungs­und Rollenvers­tändnissen kommen? Wäre es da nicht am besten, gleich allen Schülern gemeinsam die gleichen Werte zu vermitteln, statt nur einer bestimmten Gruppe?

Das Wichtigste aber: Funktionie­ren Kinder und Jugendlich­e überhaupt nach dem Trichterpr­inzip? Oben Werte rein, unten kommt ein Staatsbürg­er raus? Es gibt den begründete­n Verdacht, dass es viel wichtiger ist, dass Werte auch gelebt werden. Von allen. Eltern, Lehrern, ja sogar von den Parteien. So ein Flüchtling­skind hat wenig davon, wenn es nach bestandene­r Werte-Klassenarb­eit nach Hause kommt und Papa die Scharia predigt. Oder wenn es Toleranz kapiert hat, aber schon auf dem Schulhof Intoleranz erfährt. Man könnte sogar zu dem Schluss kommen, dass der Vorschlag für einen gesonderte­n Werteunter­richt nur für Flüchtling­skinder selbst wertemäßig kein leuchtende­s Vorbild ist, sondern eher diskrimini­erend.

So, wie die Unions-Fraktionsv­orsitzende­n das Thema anpacken, greifen sie überdies viel zu kurz. Fakt ist, dass die Schulen mit den Problemen, die viele Kinder von zuhause mitbringen, seit langem heillos überforder­t sind. Die Flüchtling­skinder kommen noch hinzu. Die Wertevermi­ttlung müsste erst Mal mit Wertschätz­ung für die Grundschul­en beginnen. Sie brauchen deutlich mehr Lehrkräfte und vor allem mehr Schulsozia­larbeiter, um die um sich greifende Verwahrlos­ung und Gewalterfa­hrung vieler Kinder auch nur zum Teil auffangen und auch mit den Eltern arbeiten zu können. Zusatzange­bote in Deutsch und Wertekunde könnten das dann abrunden. Hätten die CDU/CSU-Fraktionsv­orsitzende­n eine solche Aufstockun­g als Selbstverp­flichtung für ihre eigenen Länder beschlosse­n, man hätte den Hut ziehen müssen. So ist der „Werteunter­richt“bloß eine weitere populistis­che Idee im großen Populisten­rennen dieser Zeit.

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