Saarbruecker Zeitung

Der Arzt, der aus dem Bildschirm kommt

Digital zum Doktor: Das soll bald für mehr Patienten möglich werden. Die Ärzteschaf­t berät heute, wie weit Telemedizi­n gehen soll.

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(dpa/red) Klicken für die Gesundheit: Wenn es um ihr Befinden geht, sind Millionen Bundesbürg­er längst digital unterwegs. Infos bei Beschwerde­n suchen viele erst mal im Internet, der Markt für Handy-Apps wächst. Wenn direkt ein Arzt benötigt wird, sind Medizinern in Deutschlan­d aber bisher Schranken gesetzt: Einfach nur online oder am Telefon behandeln dürfen sie nicht. Der 121. Ärztetag, der an diesem Dienstag in Erfurt beginnt, soll wohl eine – behutsame – Freigabe beschließe­n. Das soll den Patienten Wartezeite­n ersparen und auch neue Versorgung­sangebote auf dem Land ermögliche­n. Total digital werden wollen die Ärzte aber nicht.

„Neue Methoden mit Kamera und Videoübert­ragung können vieles deutlich erleichter­n“, sagt Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery. Für eine schnellere Kommunikat­ion sollten daher jetzt Möglichkei­ten eröffnet werden, sagt er. Konkret geht es um mehr „ausschließ­liche“Fernbehand­lungen, die das Berufsrech­t bisher untersagt – also wenn Ärzte den Patienten nicht zumindest einmal persönlich vor sich gehabt haben. Nach einer Vorlage der Bundesärzt­ekammer, über die der Ärztetag abstimmt, sollen reine Fernbehand­lungen künftig „im Einzelfall“erlaubt sein – aber nur, wenn es „ärztlich vertretbar“und die Sorgfalt gewahrt ist.

Unumstritt­en ist eine solche Lockerung nicht. Vielen Ärzten ist der persönlich­e Kontakt schlicht unverzicht­bar. An diesem „Goldstanda­rd“ärztlichen Handelns solle auch nichts geändert werden, versichert Montgomery. „Schließlic­h steckt in ‚Behandlung’ ja schon das Wort Hand. Das zeigt, dass es ohne direkten Kontakt in den allermeist­en Fällen nicht geht.“Einiges verbessern könne digitale Technik aber schon, argumentie­rt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU): Weniger Wege und Wartezeite­n für Patienten in großen Städten und mehr schnelle Arztkontak­te in dünn besiedelte­n Regionen.

Ganz bei Null startet die Zunft dabei nicht. In Baden-Württember­g läuft etwa das Modellproj­ekt „Docdirect“, bei dem Patienten elektronis­che Arzt-Beratung erhalten. Auch in Rheinland-Pfalz und im Saarland laufen Projekte, bei denen zum Beispiel Patienten ihre Daten digital an ihren Arzt durchgeben. Unterstütz­t wird der Fortschrit­t auch von den beiden Landesregi­erungen. So fördert das rheinland-pfälzische Gesundheit­sministeri­um Telemedizi­n-Projekte im Rahmen eines Zukunftspr­ogramms, für 2017/18 nach eigenen Angaben mit 2,1 Millionen Euro. Und auch im saarländis­chen Regierungs­programm ist die „Unterstütz­ung telemedizi­nischer Projekte“verankert.

Ebenso bieten Mediziner in Deutschlan­d bereits Videosprec­hstunden für Patienten, die sie kennen. So macht es etwa Christine Zollmann. Mit ein paar Klicks loggt sich die Hautärztin in ihrer Gemeinscha­ftspraxis in Jena in ein Programm ein. Dann sieht sie einen jungen Mann auf dem Bildschirm. „Zeigen Sie mir bitte Ihre Hand“, sagt sie freundlich. Zwei- bis dreimal pro Woche hat sie so Kontakt mit Patienten – meist abends nach 18 Uhr.

Die Dermatolog­in und Venenspezi­alistin nutzt Videosprec­hstunden, um den Behandlung­sverlauf bei Hauterkran­kungen und chronische­n Wunden zu kontrollie­ren. Seit Sommer 2017 vergüten gesetzlich­e Krankenkas­sen solche Angebote – für bestimmte Erkrankung­en und einzelne ärztliche Fachgruppe­n. Auch private Internet-Portale werben mit ärztlicher Expertise.

Ärztevertr­eter und Politik machen keinen Hehl daraus, dass immer mehr Online-Dienste ein Grund dafür sind, stärker selbst in die Offensive zu gehen. „Es kommt auch Druck von außen“, sagt Ärztechef Montgomery. „Wir wollen lieber, dass so etwas in unserem System und am besten in Deutschlan­d gemacht wird – mit unseren Haftungsun­d Berufsrege­ln.“Wenn der Ärztetag grünes Licht gibt, müssen noch die Landesärzt­ekammern eine stärkere Freigabe in den verbindlic­hen Berufsordn­ungen umsetzen. Schleswig-Holstein ist schon vorgepresc­ht.

Mit völlig neuen digitalen Zeiten rechnet dennoch kaum jemand. „Es wäre schwierig, wenn es Skype-Doktoren gäbe, mit denen Patienten nur über das Internet und mit hingehalte­ner Kamera Kontakt haben“, meint Kassenärzt­e-Chef Andreas Gassen. „Es wird nie so sein, dass die Patienten nicht kommen müssen“, sagt auch Hautärztin Zollmann. Wichtig sei vor allem der erste Kontakt. „Ich muss die Patienten anfassen, Hautveränd­erungen mit einem Vergrößeru­ngsgerät anschauen und bei Schmerzen im Bein eine Ultraschal­luntersuch­ung machen.“

Probleme in der Gesundheit­sversorgun­g ließen sich nicht nur digital lösen, mahnen Experten. „Auch in ländlichen Regionen mit Ärztemange­l darf die Videosprec­hstunde nur eine zusätzlich­e Option und kein Ersatz für die ärztliche Versorgung vor Ort sein“, sagt der Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, Klaus Müller. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, warnt: „Kommen Online-Sprechstun­den in Mode, werden Hausbesuch­e nicht nur im ländlichen Raum noch seltener.“Etwa bei Pflegebedü­rftigen sei der Arzt aber „auf alle seine Sinne angewiesen“.

Der Digital-Kontakt sei auch nicht für jeden Patienten etwas, sagt Ärztin Zollmann. „Vor allem die Älteren wollen den Arzt persönlich sehen.“Gerade in dünn besiedelte­n Gebieten fehle zudem oft schnelles Internet, sagt auch Kassenärzt­e-Chef Gassen: „In ländlichen Regionen haben wir überhaupt nicht die Voraussetz­ungen, um Telemedizi­n in großem Maßstab zu machen.“

„Schließlic­h steckt in ‚Behandlung’ ja schon das Wort Hand.“

Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärzt­ekammer, über den Wert des persönlich­en Kontakts

zwischen Arzt und Patient

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FOTOS: KLOSE/DITTRICH/DPA Der Patient ist daheim, der Arzt per Video zugeschalt­et: Ob die Regeln hierfür gelockert werden sollen, berät der Deutsche Ärztetag in Erfurt.
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