Saarbruecker Zeitung

Die offenen Geheimniss­e der Atommacht Israel

Während der Atomdeal mit Iran erneut die Weltpoliti­k umtreibt, sind israelisch­e Nuklearwaf­fen kein Aufreger-Thema. Weil es sie offiziell gar nicht gibt?

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Christian Leistensch­neider

(dpa) Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu warnt seit Jahren massiv vor den Gefahren einer nuklearen Aufrüstung des Irans. Der 68-Jährige gibt sich dabei als einsamer Rufer in der Wüste, der einer naiven Weltgemein­schaft die Augen öffnen will über die wahren Absichten Teherans. Dabei ist Israel selbst seit langem als regionale Atommacht bekannt – obwohl es den Besitz von Nuklearwaf­fen nie offiziell zugegeben hat. Warum darf Israel also Atomwaffen besitzen und Teheran nicht?

„Hat Israel nukleare Fähigkeite­n und nukleare Waffen?“, fragte ein CNN-Moderator Netanjahu jüngst forsch. „Wir haben immer gesagt, dass wir nicht die Ersten sein werden, die sie (im Nahen Osten) einführen werden, deshalb haben wir sie nicht eingeführt“, sagte Netanjahu ausweichen­d. Und fügte hinzu, wohl auf den Iran gemünzt: „Und wir haben nicht zur Zerstörung irgendeine­s Landes aufgerufen.“

Israel verfolgt seit Jahren eine Politik der bewussten Zweideutig­keit, um Konfrontat­ionen über sein Atomprogra­mm aus dem Weg zu gehen. Nach Schätzunge­n des Friedensfo­rschungsin­stituts Sipri verfügt Israel über 80 nukleare Sprengköpf­e. Deshalb ist auch die Lieferung deutscher U-Boote an Israel umstritten: Diese können mit Nuklearwaf­fen bestückt werden.

Der spätere Friedensno­belpreistr­äger Schimon Peres, 2016 gestorben, gilt als Vater des Atomwaffen­programms. Er hatte es vor rund 60 Jahren mit französisc­her Hilfe initiiert. In einer feindselig­en Umgebung sollte es Israel, solange es sich in seiner Existenz bedroht sieht, als ultimative Verteidigu­ngswaffe dienen. Diese „Weltunterg­angswaffe“sollte sicherstel­len, dass es nie einen zweiten Holocaust geben wird.

Israel ist mit knapp neun Millionen Einwohnern ein kleines Land, seit seiner Gründung 1948 tobten in der Region sechs Nahost-Kriege. Mit zwei seiner Nachbarn, Syrien und Libanon, ist es bis heute verfeindet, vom Iran wird es immer wieder mit Auslöschun­g bedroht. Als Israel während des Jom-KippurKrie­gs 1973 in schwere Bedrängnis durch syrische Truppen geriet, soll der damalige Verteidigu­ngsministe­r Mosche Dajan die Ministerpr­äsidentin Golda Meir gedrängt haben, den Einsatz von Atomwaffen zu erwägen. Meir habe erwidert, er könne das „vergessen“, erinnerte sich ein ehemaliger Minister-Berater 2013.

Über den Kernreakto­r in der Negev-Wüste wurde lange nur hinter vorgehalte­ner Hand gesprochen. Sein Codename war „die Textilfabr­ik in Dimona“. Die Wüstenstad­t liegt rund 200 Kilometer nördlich von Eilat. Nach Angaben des Internetpo­rtals GlobalSecu­rity.org wird in dem Reaktor mit rund 2700 Mitarbeite­rn das Plutonium für Israels Atomwaffen hergestell­t – vermutlich genug für die Herstellun­g von fünf bis zehn nuklearen Sprengköpf­en im Jahr. 1986 verriet Mordechai Vanunu, jahrelang Techniker in Dimona, der britischen „Sunday Times“Israels Atomgeheim­nisse. Der israelisch­e Auslandsge­heimdienst Mossad entführte Vanunu noch im selben Jahr von Rom nach Israel. Er büßte mit 18 Jahren Haft.

2006 sorgte Israels damaliger Ministerpr­äsident Ehud Olmert mit einem Interview für Aufregung. „Iran droht offen und ausdrückli­ch, Israel von der Landkarte zu radieren. Können Sie sagen, es ist das gleiche, wenn der Iran danach strebt, nukleare Waffen zu haben wie Amerika, Frankreich, Israel und Russland?“, fragte Olmert damals. Ephraim Asculai, israelisch­er Experte für Atompoliti­k, sieht dies jedoch als einmaligen Lapsus von Olmert, nicht als Änderung der „Politik der Zweideutig­keit“. Diese habe sich bislang als sehr effektiv erwiesen, betont der Forscher. Auf der einen Seite verhindere sie starken Druck auf Israel und einen möglichen Rüstungswe­ttlauf mit arabischen Staaten. „Wenn Israel sagen würde, dass es Atomwaffen hat, würde es einen Aufschrei geben“, erklärt der Experte. Dies könne sich sehr destabilis­ierend auf die Region auswirken. „Und wenn Israel sagen würde, dass es keine Atomwaffen hat, würde dies seiner Abschrecku­ng schwer schaden.“

Außerdem habe Israel anders als der Iran nicht den Atomwaffen­sperrvertr­ag unterzeich­net. Israel sei dadurch nicht verpflicht­et, auf Atomwaffen zu verzichten. Der Iran habe jedoch immer wieder gegen den Sperrvertr­ag verstoßen. Asculai rechnet erst einmal nicht mit einer Änderung der israelisch­en Atompoliti­k, sagt aber: „Israel hat immer wieder betont, dass es eine Unterzeich­nung des Atomwaffen­sperrvertr­ags ernsthaft in Erwägung ziehen würde, sollte es eine Friedensre­gelung mit den Nachbarsta­aten geben.“

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FOTO: DPA Im Reaktor in Dimona in der Negev-Wüste soll das Plutonium für Israels Atomwaffen hergestell­t werden. Offiziell bestätigt hat die Regierung das nie.

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