Saarbruecker Zeitung

Exoten haben in Europa keine Chance mehr

Schlechte Nachricht für Sonneborn und Kollegen: Im kommenden Jahr wird es wohl wieder eine Mindesthür­de für den Einzug ins EU-Parlament geben.

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BRÜSSEL Bei der nächsten Europawahl dürfte es in Deutschlan­d wieder eine Sperrklaus­el geben, die kleine Parteien und Einzelkand­idaten am Einzug in die Volksvertr­etung hindert. Nach Informatio­nen unserer Zeitung haben Belgien und Spanien ihren Widerstand gegen die Wiedereinf­ührung einer Mindesthür­de aufgegeben. Der Kompromiss sieht eine Sperrklaus­el von zwei bis fünf Prozent der Stimmen vor.

Vor allem Deutschlan­d hatte darauf gedrängt, dass die EU vor der Wahl im Mai 2019 ein neues Wahlrecht bekommt. Das Bundesverf­assungsger­icht hatte im Februar 2014 die Sperrklaus­el von drei Prozent gekippt, die der Bundestag zuvor beschlosse­n hatte. In der Folge zogen bei der Europawahl wenige Monate später etliche Kandidaten ins Parlament ein, die als Einzelkämp­fer praktisch keinen Einfluss entfalten können. Der Satiriker und Ex-„Titanic“-Chefredakt­eur Martin Sonneborn, der 0,6 Prozent der Stimmen bekommen hatte, zählt dazu ebenso wie der Rechtsextr­eme Udo Voigt, der für die NPD 1,0 Prozent holte. Aus Deutschlan­d zogen zudem Kandidaten der Freien Wähler, der Tierschutz­partei, der Familienpa­rtei, der Piraten sowie der ÖDP ein, die mit einer Sperrklaus­el chancenlos geblieben wären.

Die Zeit drängt: Die Mitgliedst­aaten müssen sich bis zum 26. Mai einigen und das Wahlrecht beschließe­n. Andernfall­s könnte es rechtlich anfechtbar sein. Daher haben die Regierunge­n der EU-Staaten entschiede­n, den Kompromiss in einem schriftlic­hen Umlaufverf­ahren zu fassen. Als kritisch galten zuletzt Belgien, das sich nun enthalten will, sowie Spanien, dem zugesicher­t wurde, die neue Regelung erst 2024 anwenden zu müssen. Noch ist die Reform des Wahlrechts aber nicht perfekt. Der Kompromiss hängt jetzt von Italien ab, wo es noch „technische Schwierigk­eiten“gibt, wie es in Brüssel heißt: Da das Land seit den Wahlen im März noch keine geschäftsf­ähige Regierung hat, soll ein zuständige­r Ausschuss im Parlament seine Zustimmung geben.

Klar ist: Eine europäisch­e Regelung des Europawahl­rechts würde das Bundesverf­assungsger­icht akzeptiere­n. Das hatten die Karlsruher Richter bei ihrem Urteil 2014 ausdrückli­ch festgestel­lt.

Unter dem Strich betrifft die Frage einer Sperrklaus­el bei Europawahl­en nur Deutschlan­d und Spanien. In kleineren EU-Staaten gibt es nämlich faktisch eine Hürde für kleine Parteien. Malta, Zypern und Luxemburg haben als kleinste EU-Länder derzeit sechs Abgeordnet­e im EU-Parlament, da bedarf es eines deutlich höheren Anteils als fünf Prozent an Wählerstim­men, um ein Mandat zu erringen. Auch bei Belgien mit 21 Abgeordnet­en gibt es in der Praxis eine Hürde für Kleinstpar­teien. Und etliche größere Mitgliedst­aaten, wo eine Sperrklaus­el faktische Folgen hätte, wie etwa Frankreich und Italien, haben bereits Sperrklaus­eln bei Europawahl­en. Da bleiben nur noch Spanien, das derzeit 53 Abgeordnet­e nach Brüssel und Straßburg schickt, sowie Deutschlan­d mit 96 Sitzen im EU-Parlament.

Daniel Caspary (CDU), der die deutschen Unionsabge­ordneten im Europaparl­ament führt, begrüßt den Durchbruch: „Wir sehen eine zunehmende Zersplitte­rung des Europaparl­aments. Es gibt immer mehr Fraktionen, außerdem steigt die Zahl von fraktionsl­osen und damit weniger wirkungsvo­llen Abgeordnet­en immer mehr.“

Wie hoch die Sperrklaus­el letztlich in Deutschlan­d ausfällt, ist dann Sache des Gesetzgebe­rs. Wie in Berlin zu hören ist, haben sich die Regierungs­fraktionen noch nicht auf eine genaue Zahl verständig­t.

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FOTO: DPA/SEEGER Der Satiriker Martin Sonneborn verzichtet im Parlament weitgehend darauf, Politik zu gestalten.

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