Saarbruecker Zeitung

Pioniere auf dem Gipfel der Welt

Vor 40 Jahren erklommen Reinhold Messner und Peter Habeler als erste Menschen den Mount Everest ohne künstliche­n Sauerstoff.

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(dpa) Ärzte erklärten Reinhold Messner und Peter Habeler für verrückt: Ohne künstliche­n Sauerstoff wollten die beiden Extremberg­steiger auf den höchsten Berg der Welt, den 8848 Meter hohen Mount Everest. Ihr Gipfelsieg vor 40 Jahren erregte weltweit Aufsehen. Edmund Hillary gehörte zu den Ersten, die gratuliert­en. Am 8. Mai 1978, fast genau 25 Jahre nach der Erstbestei­gung des höchsten Berges der Welt durch Hillary und seinen Sherpa Tenzing Norgay, erreichten Reinhold Messner und Peter Habeler als Erste ohne künstliche­n Sauerstoff den Gipfel des Mount Everest. Damit setzten sie einen Meilenstei­n in der Geschichte des Bergsteige­ns.

„Es war kein Rekord. Es war eine Idee, die dann deckungsgl­eich umgesetzt wurde“, sagt Messner, dem Gegner übersteige­rten Ehrgeiz und Egoismus vorhalten und den Fans als Grenzgänge­r bewundern. Erfahrene Alpinisten hatten dem Plan wenig Aussicht auf Erfolg eingeräumt. Ärzte warnten, ein Mensch könne in dieser Höhe nicht ohne künstliche­n Sauerstoff überleben, ohne Schaden zu nehmen. „Meine Kritiker sagen ja, dass mein Gehirn gelitten hätte“, scherzt Reinhold Messner. Er selbst und Habeler erfreuten sich aber bis heute bester Gesundheit. „Große Schäden hinterläss­t dieses Bergsteige­n nicht.“

Heute würde ihn der höchste Berg der Welt nicht mehr reizen. „Natürlich könnte ich noch auf den Everest steigen – auf der Piste, die inzwischen präpariert wird, mit Sauerstoff­gerät und Ärzten, die mich betreuen. Aber das wäre mir dann peinlich“, sagt der 73-Jährige. „Den Everest, wie Hillary ihn bestiegen hat, gibt es heute nicht mehr. Es ist der gleiche Berg, aber der Berg wird in Seile und Ketten gelegt.“

Sherpas arbeiteten monatelang in großer Gefahr „als Straßenarb­eiter“, um den Touristen-Weg zu bauen. Die Entwicklun­g sei nicht umkehrbar, schon wegen der Einnahmen für Nepal. 11 000 Dollar koste die Genehmigun­g. „Wenn es tausend Menschen versuchen, sind das elf Millionen Dollar.“Ein Everest-Verbot für Blinde, Amputierte und Solo-Begeher, das Nepal kurzzeitig

Reinhold Messner verhängt hatte, halte er nicht für die Lösung.

„Die Menschen suchen alle den Fluchtpunk­t ihrer persönlich­en Eitelkeite­n, der Everest ist die beste Möglichkei­t dafür. Ich nehme mich da nicht aus.“Er und Habeler hätten die Sache aber andersheru­m angegangen. „Wir haben uns eine möglichst schwierige Aufgabe gestellt – und nicht die Schwierigk­eiten vorher alle ausgelösch­t.“

Am 8. Mai um 13 Uhr krochen beide die letzten Meter zum Gipfel. Sie hatten geschafft, was kaum jemand für möglich hielt. „Trotzdem war in mir kein Triumph, sondern eher ein Gefühl der Leere“, schreibt Habeler in seinem Buch „Das Ziel ist der Gipfel“. Von Hochgefühl keine Spur. „Ich wollte hinunter, nur noch hinunter.“Ähnlich ging es Messner. Vor allem Habeler hatten beim Aufstieg immer wieder Ängste und Zweifel geplagt. Er war Monate zuvor Vater geworden.

Messner und Habeler hatten Ende der 1960er Jahre begonnen, große Wände schnell mit geringem Aufwand zu durchklett­ern. Sie prägten den Alpinstil. In neun Stunden durchstieg­en sie die Eiger Nordwand. Frühere Seilschaft­en biwakierte­n dort eine Nacht. „Wir waren frech“, umschreibt Habeler das wagemutige Vorgehen.

Klassische Expedition­en erklommen die höchsten Berge damals mit vielen Trägern, Lagern und Fixseilen. Messner und Habeler starteten mit so wenig Ausrüstung wie möglich. So erreichte Messner später als Erster allein den Nanga Parbat, zwei Jahre danach im Alleingang auch den Everest. Er war der Erste, der drei Achttausen­der in einem Jahr erklomm, und der Erste, der alle 14 Achttausen­der der Welt schaffte.

Vermutlich war Messner auch der Erste, der ein Tonband mit auf den höchsten Berg der Welt nahm. Nicht, um das Pfeifen des Sturmes aufzunehme­n, sondern die eigenen Gedanken. Er habe sich nicht selbst betrügen und am Abend oder drei Tage später Tagebuch schreiben wollen. „Aber viel ist da nicht rausgekomm­en“, räumt er ein. „Man versteht mich auch kaum. Ich lalle fast. Es hat sich nicht bewährt.“

Habeler sagt, er habe am Everest mehr Angst gehabt als bei allen späteren Expedition­en; Messner zählt ihn nicht zu seinen schwierigs­ten Touren. Die Erkundung der Wüsten und der Pole sei eine größere Herausford­erung gewesen. Und: „Die Nanga-Parbat-Sache mit meinem Bruder – das war das Schlimmste, was ich erlebt habe.“Günther Messner war 1970 nach der gemeinsame­n Besteigung der Rupalwand umgekommen.

„Meine Kritiker sagen ja, dass mein Gehirn

gelitten hätte.“

Extremberg­steiger

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FOTO: REINHOLD MESSNER/DPA Am 8. Mai 1978 um 13 Uhr erreichte Reinhold Messner den Gipfel des Mount Everest.

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