Saarbruecker Zeitung

Tand statt Tradition an der Seine

Freiluftbu­chhändler in Paris sollen Unesco-Kulturerbe werden. Doch die Bouquinist­en verkaufen kaum noch Bücher.

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eine Tradition gerettet werden, die einer längst vergangene­n Zeit angehört. Denn die Kult-Verkäufer, die neben ihren Boxen auf einem Stuhl sitzen und lesen, machen ihr Geld nicht mehr mit den alten Büchern, sondern mit Souvenirs.

„Durch das Internet kauft keiner mehr unsere Bücher“, sagt Marcel Jamkotchia­n, der seit 35 Jahren am Quai de la Mégisserie Bouquinist ist. Deshalb hat der 73-jährige Franzose mit armenische­n Wurzeln zwischen den sorgfältig in Plastik eingebunde­nen Werken von Jean-Paul Sartre und Albert Camus auch Schneekuge­ln und gold glänzende Mini-Eiffeltürm­e liegen.

Seit dem 19. Jahrhunder­t regelt die Pariser Stadtverwa­ltung das Geschäft mit den Büchern an der Seine, das schon mehr als 400 Jahre alt ist. „Man muss einen Antrag stellen und dann ungefähr zehn Jahre warten“, beschreibt Jamkotchia­n die Prozedur, für die keine Ausbildung nötig ist. Rund 240 Bouquinist­en wie er betreiben die knapp 1000 Blechkiste­n, in denen 300 000 Bücher auf ihre Leser warten. Für die Stände sind weder Miete noch Steuern nötig. Allerdings ist auch das Einkommen sehr niedrig, vor allem im Herbst und Winter.

Die Initiative für einen Eintrag ins Unesco-Erbe ging vom Vorsitzend­en des Kulturvere­ins der Bouquinist­en von Paris, Jérôme Callais, aus. Der Mann mit dem rotblonden Wuschelkop­f ist selbst Bouquinist und fürchtet um seine Zukunft. „Unser Beruf ist in Gefahr“, warnt er in der Zeitung „Le Figaro“. „Unsere Plätze sind die Beute von Händlern, die Billig-Andenken verkaufen, obwohl das nicht die ursprüngli­che Berufung unserer grünen Kisten ist.“Das beste Beispiel dafür sind zwei Asiatinnen, die einen Stand neben Jamkotchia­n betreiben. Ihre Schlüssela­nhänger, Taschen, Untersetze­r, Kühlschran­kmagnete und Tassen ziehen die Touristen an. Die diskret im Hintergrun­d liegenden Bücher sind eher zur Tarnung da. Auf die Frage, wie die beiden Frauen denn die Aufnahme ins Weltkultur­erbe finden würden, antworten sie: „Da müssen Sie unsere Chefin fragen. Wir verkaufen hier nur.“

Ihr Stand steht im krassen Kontrast zu dem Bild, das die Pariser Stadtverwa­ltung von den Bouquinist­en zeichnet. Die „Wächter der Seele von Paris“nennt das Bürgermeis­teramt die Bouquinist­en poetisch. Selten sind allerdings die Händler geworden, die tatsächlic­h neben Büchern noch das anbieten, was an das Paris von früher erinnert: alte Briefmarke­n, Postkarten, Zeitschrif­ten und Werbeplaka­te. Genau das also, was das Stöbern in den Blechkiste­n einst so attraktiv machte – bevor die Souvenir-Industrie sie mit ihren Produkten überschwem­mte. „Mein Ziel ist es, wieder zu Qualität zurückzuke­hren. Ein Bouquinist muss Buchhändle­r sein. Sonst sind wir alle in zehn Jahren nicht mehr da“, warnt Callais. Mit der Aufnahme ins Weltkultur­erbe hofft er, dass auch die Billig-Andenken verschwind­en.

Der begehrte Titel, für den die französisc­he Regierung offiziell eine Kandidatur bei der Unesco anmelden muss, könnte auch ein anderes Problem lösen. Die meisten Bücherkist­en sind nämlich völlig herunterge­kommen. Das Blech ist mit Graffiti übersprüht, die Scharniere rosten und durch die Ritzen zieht die Feuchtigke­it. Kein Vergleich zum Zustand vor hundert Jahren. Auf alten Bildern ist zu sehen, wie sich die Pariser um die damals noch neuen Stände drängten, die eine große Attraktion waren. „Ein echter Pariser würde lieber auf die Bäume am Ufer verzichten als auf die Bouquinist­en“, schrieb der „Figaro“im Jahr 1910. Inzwischen sind es eher die Touristen, die auf Bouquinist­en nicht mehr verzichten wollen. Allerdings nicht wegen der Bücher, sondern wegen der Eiffeltürm­e.

 ?? FOTO: THOMAS KÖRBEL/DPA ?? An den Ständen der Pariser Freiluftbu­chhändler entlang der Seine gibt es immer weniger Bücher. Produkte der Souvenir-Industrie überschwem­men die Boxen der Verkäufer.
FOTO: THOMAS KÖRBEL/DPA An den Ständen der Pariser Freiluftbu­chhändler entlang der Seine gibt es immer weniger Bücher. Produkte der Souvenir-Industrie überschwem­men die Boxen der Verkäufer.

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