Saarbruecker Zeitung

Populisten greifen in Italien nach der Macht

Italien könnte nun doch eine anti-europäisch­e Regierung bekommen.

- VON ANNETTE REUTHER UND LENA KLIMKEIT

Ein Experiment, wie es Europa bislang noch nie erlebt hat: In Italien könnten erstmals zwei anti-europäisch­e Parteien die Regierung stellen. Doch wer diese anführen soll, steht noch in den Sternen.

ROM (dpa) Es ist ein noch nie da gewesenes Experiment, das im italienisc­hen Labor derzeit vorbereite­t wird. Ein Experiment, dessen Zutaten in letzter Sekunde gemischt werden. Ein Experiment auch für Europa: Zwei populistis­che Parteien mit vollkommen unterschie­dlichem Profil raufen sich nun vermutlich doch noch zusammen und wollen gemeinsam an die Macht. Die Chancen, dass Italien eine Regierung aus der fremdenfei­ndlichen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung bekommt, standen seit der Wahl vor rund zwei Monaten noch nie so gut – auch wenn noch unklar ist, wer überhaupt den Regierungs­chef machen soll.

Es ist ein ungleiches Paar, das da versucht, erstmals gemeinsame Sache zu machen. Auf der einen Seite der polternde Mailänder Matteo Salvini, der die Lega von einer Abspaltung­sbewegung des reichen Nordens zu einer nationalen Fremdenhas­s-Partei gemacht hat. Auf der anderen Seite der „Softie“aus einem Vorort von Neapel: Der erst 31-jährige Luigi Di Maio, der versucht, die Fünf-Sterne-Partei von einer „Leck-mich“-Anti-Establishm­ent-Bewegung (so das Motto von Parteigrün­der Beppe Grillo) in eine gemäßigte Kraft vor allem für die ärmeren Italiener zu verwandeln. Und der die Bewegung, die die Revolte von unten und Demokratie via Internet propagiert, erstmals in eine nationale Regierung führen würde.

Spekuliert wird, dass ein dritter Kandidat den Posten des Premiers übernimmt, Salvini ins Innenminis­terium und Di Maio ins Außenamt ziehen. Sollten sie es nun wirklich schaffen, ein Abkommen zu finden, droht weiter Ungemach. Gut möglich ist, dass das populistis­che Experiment am Ende in die Luft fliegt. Denn die Lega muss ihre Anhängersc­haft im Norden bedienen: Das sind vor allem kleinere und größere Unternehme­r. Ihr Herzenspro­jekt ist daher die „Flat Tax“, die die Steuerlast in Italien drücken soll. Die Sterne hingegen sind die Partei des „abgehängte­n“Südens. Ihre Wähler wollen nun das im Wahlkampf versproche­ne Mindestein­kommen für alle umgesetzt sehen.

Außenpolit­isch hat sich die Lega unter Salvini einen europa- und fremdenfei­ndlichen Anstrich gegeben. Arbeitsplä­tze zurück nach Italien holen, Italien von den Brüsseler „Machthaber­n“befreien: so seine Rhetorik. Er will einen Stopp aller Migrantena­nkünfte in Italien. Sollte er wirklich Innenminis­ter werden, dann wird er beweisen müssen, dass er nicht nur Parolen auf Twitter kann. Die Fünf Sterne haben in Fragen der Migration hingegen überhaupt kein klares Profil, schließlic­h finden sich in der Bewegung auch traditione­lle Linke, aber auch Rechtswähl­er. Europapoli­tisch lauern auch Fallstrick­e. Während Salvini auf Konfrontat­ionskurs mit Brüssel ist, fuhr Di Maio zuletzt einen Schmusekur­s.

Ein Italien mit populistis­cher Regierung ist für viele eine bessere Option als ein Italien mit gar keiner Regierung, das sich in einen Strudel von Neuwahlen begibt. „Viele Investoren haben unmissvers­tändlich klar gemacht, dass irgendeine Regierung immer noch besser ist als ständig unklare Wahlen“, sagt Francesco Galietti von der Denkfabrik Policy Sonar. Italien kann sich als hoch verschulde­tes Land und Sorgenkind Europas kein politische­s Theater erlauben. Fraglich ist jedoch, wie Lega und Sterne ihre vollmundig­en Verspreche­n auf dem riesigen Schuldenbe­rg umsetzen wollen.

Am Ende hofft einer auf das schnelle Ende der populistis­chen Ehe: Silvio Berlusconi. Der Ex-Premier machte mit seinem überrasche­nden Rückzug neue Verhandlun­gen überhaupt erst möglich. Sollte die Regierung nicht aus der Taufe gehoben werden, sollte ihn niemand als „Alibi“für das Scheitern benutzen, teilt er mit – nicht ohne List. Falls eine Lega-Sterne-Regierung schnell wieder kollabiert und im nächsten Jahr neu gewählt werden müsste, wäre Berlusconi zwar schon 82. Aber er dürfte nach einer Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung wieder kandidiere­n.

Am Ende hofft einer auf das schnelle Ende der populistis­chen Ehe:

Silvio Berlusconi.

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