Saarbruecker Zeitung

Saar-Koalition streitet um Asyl-Zentrum in Lebach

Das Saarland könnte zur Pilotregio­n bei Abschiebun­gen werden. Die SPD sieht einen Schnellsch­uss.

- VON DANIEL KIRCH

Die Landesaufn­ahmestelle in Lebach soll nach dem Willen von Ministerpr­äsident Tobias Hans und Innenminis­ter Klaus Bouillon (beide CDU) zu einem der bundesweit geplanten Asyl- und Abschiebez­entren werden. Bouillon hat dem Bundesinne­nministeri­um angeboten, das Saarland zur Pilotregio­n für den Start der sogenannte­n Anker-Zentren zu machen. Diese Einrichtun­gen sollen die rasche Abschiebun­g von abgelehnte­n Asylbewerb­ern ermögliche­n. Dazu sollen die Asylbewerb­er so lange in einem dieser Zentren leben müssen, bis über ihren Antrag entschiede­n ist. Dies ist in Lebach bislang anders.

Die Saar-SPD fühlt sich von der Initiative Bouillons und Hans’ vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Vorschlag sei nicht abgestimmt, sagte Parteispre­cher Ingmar Naumann. Mit der Erstaufnah­mestelle in Lebach, der Verteilung auf die Kommunen sowie einem Rückkehr-Management für Menschen ohne Bleibepers­pektive gebe es ein funktionie­rendes System. „Dafür wurden wir bis vor kurzem noch völlig zurecht als vorbildlic­h gelobt. Jetzt verkennt die CDU Saar wohl aus Parteiräso­n – wahrschein­lich auf Zuruf aus dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin – die Situation“, sagte Naumann. Er warf Hans einen „Politiksti­l der kurzfristi­gen Kampagnen für die Öffentlich­keit und das eigene Bekanntwer­den“vor.

Regierungs­sprecherin Anne Funk verteidigt­e das Vorgehen: „Die Menschen erwarten, dass die Politik die seit der Hochphase der Flüchtling­skrise entstanden­en Probleme löst und nicht nur darüber diskutiert.“Wer keine Bleibepers­pektive in Deutschlan­d habe, müsse rasch abgeschobe­n werden. Das Saarland werde gerne mithelfen, hier weiterzuko­mmen. Lebach sei eine Blaupause für den Bund. Die „Anker-Zentren“sind Teil des Koalitions­vertrages von Union und SPD auf Bundeseben­e.

„Der Vorschlag des Koalitions­partners ist nicht mit der SPD

abgesproch­en.“

Ein Parteispre­cher

Es ist ruhig geworden um die Landesaufn­ahmestelle in Lebach. Zwar kommen jeden Monat noch immer um die 150 Asylbewerb­er dort an, die meisten aus Syrien, dem Irak, Afghanista­n und mittlerwei­le auch aus Nigeria. Doch ist diese Zahl weit entfernt von jenen über 2000 Menschen, die das Saarland im Herbst 2015 jeden Monat aufnahm.

Die Landesaufn­ahmestelle, in der aktuell rund 1000 Migranten leben, gilt bundesweit als vorbildlic­h. Die Präsidenti­n des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (Bamf), Jutta Cordt, befand im Juli 2017 bei einem Ortstermin, in Lebach sei „Beeindruck­endes“geleistet worden: Land, Bamf und Bundesagen­tur für Arbeit arbeiteten dort Hand in Hand, die Asylverfah­ren werden dort schneller bearbeitet als andernorts. Nun ist nichts so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte. Ob die Initiative, um die es derzeit geht, die Abläufe verbessern würde, ist aber umstritten.

Worum geht es? CDU, CSU und SPD haben – auf Druck der Unionspart­eien – in ihrem Koalitions­vertrag auf Bundeseben­e verabredet, bundesweit Asyl- und Abschiebez­entren einzuricht­en. Das Bündnis nennt sie „Anker-Zentren“, wobei „Anker“für „Ankunft, Entscheidu­ng, kommunale Verteilung bzw. Rückführun­g“steht. Die Idee: Asylbewerb­er müssen nach ihrer Ankunft so lange in diesen Zentren bleiben, bis über ihren Asylantrag entschiede­n ist (maximal 18 Monate). Wird der Antrag abgelehnt, wird der Asylbewerb­er direkt aus dem Zentrum abgeschobe­n. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) verspricht sich davon, Menschen ohne Bleibepers­pektive schneller abschieben zu können. Er sucht Länder, die sich als Pilotregio­nen zur Verfügung stellen.

Das saarländis­che Innenminis­terium hat dem Seehofer-Ministeriu­m per E-Mail sein Interesse bekundet. Im CDU-Teil der Landesregi­erung herrscht die Auffassung vor, Lebach sei eine „Blaupause für den Bund“. In der Tat bietet Lebach, was Seehofer andernorts erst noch aufbauen will: eine enge Zusammenar­beit von Ausländerb­ehörde (Land) und Asylbehörd­e Bamf (Bund) sowie der Bundesagen­tur für Arbeit. Auch die Größe der Aufnahmest­elle und das dort geltende Sachleistu­ngsprinzip sind nach Seehofers Geschmack.

Es gibt allerdings einen Unterschie­d: In Lebach müssen bis zum Abschluss des Asylverfah­rens nur jene Antragstel­ler bleiben, deren Asylantrag wenig erfolgvers­prechend ist. Wer eine hohe Wahrschein­lichkeit hat, dass sein Antrag gebilligt wird, kommt in einer Kommune unter – und zwar auch schon vor Abschluss seines Asylverfah­rens. Diese Menschen müssten künftig also knapp einen Monat – so lange dauern die Verfahren nach Angaben aus dem Jahr 2017 im Saarland – erst einmal mit Nichtstun in der Landesaufn­ahmestelle verbringen.

Der Saarländis­che Flüchtling­srat ist bereits alarmiert: „Die von der großen Koalition in Berlin geplanten Anker-Zentren werden die Ausgrenzun­g von Flüchtling­en noch mehr verschärfe­n, als dies jetzt schon im Lager Lebach der Fall ist.“Das rotgelb-grün-regierte Rheinland-Pfalz hat deshalb bereits entschiede­n, sich nicht an solchen Modellproj­ekten zu beteiligen.

Auch SPD-Fraktionsc­hef Stefan Pauluhn ist der Meinung: „Es macht keinen Sinn, etwas umzustrukt­urieren, was super funktionie­rt.“Die Sozialdemo­kraten sprechen von einem „Schnellsch­uss“und vermuten, dass Ministerpr­äsident Tobias Hans und Innenminis­ter Klaus Bouillon „auf Zuruf aus dem Konrad-Adenauer-Haus“, also von CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, gehandelt hätten. Dass die „Anker“-Zentren bundesweit kommen, daran zweifelt aber auch Pauluhn nicht, weil sie nun mal im Koalitions­vertrag vereinbart wurden.

Viele Fragen sind aber noch offen. Die CDU-geführte Staatskanz­lei ist der Meinung, das Bundesinne­nministeri­um sei jetzt am Zug, sein Konzept für die Ausgestalt­ung der Zentren vorzustell­en. „Dann sehen wir, was wir beisteuern können, damit es ein gelungenes Konzept wird“, sagt Regierungs­sprecherin Anne Funk. Der Bund werde etwa sagen müssen, was er an Mitteln und Personal beisteuern könne. Seehofer will in den „Anker-Zentren“die Bundespoli­zei einsetzen. Doch das ist umstritten: Das Personal reiche schon für die bisherigen Aufgaben vor allem bei der Grenzsiche­rung nicht aus, klagt die Gewerkscha­ft der Polizei – und warnt vor „Isolation und Internieru­ng“in den Zentren.

Auch müsse der Bund, so Regierungs­sprecherin Funk, sagen, wie gesichert werde, dass ausreisepf­lichtige Asylbewerb­er auch tatsächlic­h von ihren Heimatländ­ern aufgenomme­n werden. Der Bund solle auch beachten, dass die derzeitige Belegung in Lebach das Maximum dessen darstelle, was händelbar sei, wenn man die ehrenamtli­chen Helfer nicht verlieren wolle.

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Im Saarland ist seit Jahren bereits Praxis, was in anderen Ländern nun angestrebt wird: eine enge Zusammenar­beit der Ausländerb­ehörden der Länder mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e am gleichen Ort. Doch wie die neuen „Anker-Zentren“konkret...

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