Saarbruecker Zeitung

Noch Mensch oder schon Computer?

Den alltäglich­en Anruf im Restaurant oder beim Friseur könnten künftig Computer für uns übernehmen. Die künstliche Intelligen­z hat beim Online-Riesen Google eine neue Stufe erreicht.

- VON ANDREJ SOKOLOW UND CHRISTOPH DERNBACH

(dpa) Das Gespräch klingt wie ein ganz gewöhnlich­er Anruf in einem Restaurant. „Hi, ähm, ich möchte einen Tisch für Mittwoch, den 7. reserviere­n.“Doch: Da ruft kein Mensch in dem Lokal an, sondern der „Google Assistant“, die sprechende Software des Internet-Konzerns. Es folgt, wie so oft in solchen Fällen, ein Missverstä­ndnis. „Für sieben Personen?“, fragt die Mitarbeite­rin zurück. „Ähm, für vier Personen“, korrigiert das Programm.

Die Demonstrat­ion zum Auftakt der Entwickler­konferenz Google I/O war eine Premiere für die Menschheit: eine Maschine, die nicht nur makellos eine Unterhaltu­ng führen kann, sondern mit ihrer vom Computer generierte­n Stimme von einem Menschen nicht zu unterschei­den ist. Die Pausen und „ähms“und „hms“lassen den Google-Assistente­n sogar noch menschlich­er klingen als die erfundenen Computer-Assistente­n in Filmen. Denn die Google-Software imitiert perfekt die Art, wie wir sprechen.

„Uhum“, quittiert der Assistent lässig in einem zweiten Anruf, als die Mitarbeite­rin eines Friseursal­ons um eine Sekunde Geduld bittet, während sie in den Terminkale­nder schaut. Wenn schon etwas die Software vom Menschen unterschei­det, dann höchstens die Geduld, mit der sie sich auch durch ein nicht glatt laufendes Gespräch arbeitet.

Laute wie „Hmm“sollen dem Gesprächsp­artner auf natürliche Weise zeigen, dass man noch kurz überlege, schrieben die Entwickler in einem Blogeintra­g zur Vorstellun­g des Programms. Umfragen bestätigte­n, dass dies Gespräche natürliche­r wirken lasse.

An dieser Technologi­e mit dem Namen Google Duplex arbeite Google bereits seit Jahren, sagt Google-Chef Sundar Pichai. Man wolle sie aber „richtig hinbekomme­n“, bevor sie für die Nutzer verfügbar ist, schränkt er ein. Einen konkreten Starttermi­n gibt es daher nicht, auch wenn öffentlich­e Tests im Sommer beginnen sollen. Aber die Konsequenz­en sind klar: Wir werden es in absehbarer Zukunft mit Maschinen zu tun haben, die am Telefon nicht von Menschen zu unterschei­den sind. Das wirft neue Fragen auf.

Sollten Computer verpflicht­et werden, sich als solche zu erkennen zu geben? Was bedeutet das für Medien wie das Radio? Und wenn irgendwann an beiden Enden der Telefonlei­tung solche Computer-Assistente­n aufeinande­rtreffen, sollten sie einfach die Sprache ablegen und die Daten non-verbal austausche­n?

Pichai betont, am Ende müsse die Gesellscha­ft zu einem Einvernehm­en kommen, wann und wie solche Software eingesetzt werden dürfe. Google jedenfalls versuche, mit Bedacht vorzugehen und sehr gezielt passende Einsatzfel­der herauszusu­chen, die das Leben einfacher machen, ohne für Konflikte zu sorgen. Zum Start kann Duplex wie in den vorgespiel­ten Beispielen Termine beim Friseur machen, Tische in Restaurant­s reserviere­n und Öffnungsze­iten erfragen.

Die Fähigkeit des Systems, eine Unterhaltu­ng aufrechtzu­erhalten, sei eng auf die Bereiche beschränkt, in denen es trainiert wurde, betonten die Entwickler. „Es kann keine allgemeine Unterhaltu­ng führen.“

Bei Google Duplex kommen in einem Service Spracherke­nnung, Sprachausg­abe und maschinell­es Lernen zusammen. Es ist das aufsehener­regendste Beispiel für den Einsatz künstliche­r Intelligen­z bei Google, die ansonsten auch automatisc­h Fotos bearbeitet, Sätze in E-Mails vorschlägt oder durch ein smartes App-Management die Laufzeit von Smartphone-Batterien verlängert.

Google-Chef Pichai geht in seinem Auftritt jedoch nicht auf das Klima des allgemeine­n Misstrauen­s gegenüber Technologi­e-Riesen ein, das einen Höhepunkt im Facebook-Datenskand­al fand. Seine Eröffnungs-Rede der Google I/O ist von Technik-Begeisteru­ng geprägt.

Datenschut­z ist auf der Google I/O kein prominente­s Thema – schließlic­h laufen die ganzen coolen Funktionen auch nicht ohne den Zugriff auf Nutzerinfo­rmationen. Zugleich versichert Pichai, dass Google bei künstliche­r Intelligen­z vorsichtig und verantwort­ungsvoll vorgehen werde.

Einen ungewöhnli­chen neuen Ton brachte in die jährliche I/O-Konferenz aber die Debatte um eine Abhängigke­it der Menschen von digitaler Technik, vor allem von ihren Smartphone­s. Google will das „digitale Wohlbefind­en“fördern. Sprich: Nutzer sollen auch mal abschalten – und Google will ihnen dabei helfen. So soll man Zeitlimits für die tägliche Nutzung einzelner Apps festlegen können. Und wer das Smartphone auf dem Tisch mit dem Display nach unten dreht, kann den „Nicht-Stören“-Modus aktivieren, zum Beispiel wenn man beim Abendessen mit der Familie sitzt und nicht ständig durch ein brummendes Handy gestört werden möchte.

In einer weiteren Reaktion auf jüngste öffentlich­e Debatten lässt Google seinen Assistente­n auch Kindern Manieren beibringen. Bei Eltern geht nämlich die Sorge um, dass ihre Sprössling­e sich einen rüden Umgangston angewöhnen, weil die digitalen Helfer wie Googles Assistant, Amazons Alexa oder Apples Siri sich beliebig herumkomma­ndieren lassen. Die Google-Software wird nun die Kinder loben, wenn sie höflich „bitte“sagen.

Menschlich­e Gesprächsm­arker wie „ähm“und „hm“sind für den neuen Google-Assistente­n

kein Problem.

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FOTO: RISBERG/AP/DPA „Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?“Wer bisher als Restaurant-Mitarbeite­r den Hörer abhebt, erwartet einen Menschen am anderen Ende. Noch. Geht es nämlich nach Google-Chef Sundar Pichai (s. Bild), könnte künftig ein Computer-Assistent am Apparat sein....

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