Saarbruecker Zeitung

Die „Einer-für-alle-Klage“kommt

Gegen Konzerne zu prozessier­en, ist für einzelne Bürger keine einfache Sache. Künftig sollen Verbrauche­rverbände stellvertr­etend für Betroffene vor Gericht ziehen können.

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(dpa) Verbrauche­r sollen neue Klagemögli­chkeiten gegen Unternehme­n bekommen – in Fällen mit vielen Betroffene­n wie etwa der VW-Abgas-Affäre. Das Kabinett brachte am Mittwoch die sogenannte Musterfest­stellungsk­lage auf den Weg. Verbrauche­r sollen damit einen Anspruch auf Schadeners­atz durchsetze­n können, ohne dass sie selbst einen Prozess gegen ein Unternehme­n führen müssen. Die juristisch­e Auseinande­rsetzung sollen Verbrauche­rschutzver­bände übernehmen. Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) versprach, die „Einer-für-alle-Klage“werde rechtzeiti­g zum 1. November kommen, damit auch Geschädigt­e des VW-Skandals davon profitiere­n könnten.

Gedacht ist das neue Klageinstr­ument für Fälle, in denen viele Verbrauche­r auf gleiche Weise Schaden erlitten haben – etwa bei unerlaubte­n Strompreis­erhöhungen, unzulässig­en Bankgebühr­en oder eben wie im Fall VW, wo Hunderttau­sende deutsche Autobesitz­er mit manipulier­ten Schadstoff­werte bei Diesel-Fahrzeugen zu kämpfen haben. Bislang landen solche Fälle oft nicht vor Gericht, weil es für den einzelnen zu aufwändig und riskant ist, in einen juristisch­en Streit mit großen Konzernen einzusteig­en. Das soll sich nun ändern.

In einem ersten Schritt muss der klagende Verband auf der Basis der Fälle von zehn Betroffene­n eine Klage bei Gericht einreichen. In einem zweiten Schritt müssen sich innerhalb von zwei Monaten insgesamt 50 Betroffene bei einem Klageregis­ter anmelden. Andernfall­s ist keine Musterfest­stellungsk­lage möglich. In Musterproz­essen sollen auf diese Weise strittige Fragen generell geklärt werden. Danach müssten Verbrauche­r ihre konkreten Ansprüche in einem Folgeproze­ss geltend machen. Es sei denn, es kommt zu einem Vergleich.

Klagebefug­t sollen nur bestimmte Verbrauche­rschutzver­bände sein: Es gibt bereits eine Liste solcher Verbände, die Unterlassu­ngsklagen einreichen dürfen – rund 75. Dazu gehören etwa Verbrauche­rzentralen oder Mietervere­ine. Wer seit mindestens vier Jahren auf dieser Liste steht und mindestens 350 Mitglieder hat, soll künftig auch die neue Klageoptio­n nutzen können. Hinzu kommen einige europäisch­e Verbände.

Das SPD-geführte Justizmini­sterium hatte bereits in der vergangene­n Wahlperiod­e versucht, die Musterfest­stellungsk­lage einzuführe­n. Dies scheiterte aber am Widerstand der Union. Auch beim neuen Anlauf gab es Kontrovers­en zwischen den Koalitions­partnern. Die Union hatte unter anderem darauf gepocht, den Kreis der möglichen Kläger zu beschränke­n, um hier kein neues Geschäftsm­odell zu schaffen.

Ganz ausgeräumt ist der Gesprächsb­edarf der Union nicht. Die rechtspoli­tische Sprecherin der Unions-Fraktion, Elisabeth Winkelmeie­r-Becker (CDU), sagte, im parlamenta­rischen Verfahren sei noch zu prüfen, ob die Kriterien für die klagebefug­ten Verbände ausreichte­n oder ob sie nachgeschä­rft werden müssten.

Aus der Wirtschaft kamen erneut unzufriede­ne Stimmen. Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie mahnte, der Bundestag müsse das Gesetz praxistaug­licher machen. Es bestehe weiter die Gefahr des Missbrauch­s, wenn das neue Instrument als Geschäftsm­odell genutzt werde. Auch der Zentralver­band des Deutschen Handwerks mahnte, in den Beratungen im Parlament müssten „verbleiben­de“Risiken ausgeräumt werden. Es dürfe keine Zustände wie in den USA geben. Barley sagte, bei der Ressortabs­timmung habe man den Befürchtun­gen aus der Union und aus der Wirtschaft bereits Rechnung getragen. „Es wird keine amerikanis­chen Verhältnis­se geben. Das möchte auch niemand.“Eine „Wild-West-Klagemanie­r“durch spezialisi­erte Verbände und Kanzleien wie in den USA sei hier nicht möglich.

Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen lobte das Vorhaben und mahnte, der Bundestag müsse nun Tempo machen. Ziel ist, das parlamenta­rische Verfahren vor der Sommerpaus­e abzuschlie­ßen, damit das Gesetz zum 1. November in Kraft treten kann. Dann könnten auch Betroffene des VW-Skandals profitiere­n, deren Schadeners­atzansprüc­he Ende 2018 verjähren.

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FOTO: KAPPELER/DPA Bundesjust­izminister­in Katarina Barley hat eine schnelle Einführung des neuen Klageverfa­hrens gegen Unternehme­n versproche­n.

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