Saarbruecker Zeitung

Diabetes ist vermeidbar – und sogar heilbar

Eine frühzeitig­e Ernährungs­therapie bei Diabe te s Typ 2 kann die Krankhe it nicht nur stoppe n, sonde rn in vie le n Fälle n sog arhe ile n.

- VON MARTIN LINDEMANN

eder kann Diabetes Typ 2 vermeiden. Mit der richtigen Ernährung. Ist die Erkrankung bereits ausgebroch­en, kann sie mit ausgewogen­em Essen oft sogar geheilt werden. Wird Diabetes im frühen Stadium erkannt, ist er nach bisherigen Erkenntnis­sen in 70 Prozent der Fälle allein durch eine Ernährungs­umstellung und regelmäßig­e körperlich­e Bewegung heilbar. Das jedoch ist in Deutschlan­d anscheinen­d noch weitgehend unbekannt.

JInsulin macht dick Hierzuland­e sind rund sechs Millionen Menschen von einer Diabetes-Erkrankung betroffen. Über 90 Prozent leiden am Typ 2. Die Zahl der Patienten steigt weiter, weshalb immer mehr Diabetes-Medikament­e zum Einsatz kommen. „Dabei werden zwei wichtige Fakten verdrängt“, sagt der Ernährungs­mediziner Dr. Matthias Riedl aus Hamburg. „Diabetes des Typ 2 ist heilbar und Insulin macht dick.“

Einige Diabetes-Medikament­e sowie Insulinspr­itzen fördern eine weitere Gewichtszu­nahme. Da immer mehr Insulin verschrieb­en wird, werden die Betroffene­n auch immer dicker, bis hin zur Invaliditä­t. Damit nicht genug. „Viel Insulin im Körper verstärkt nicht nur die Einlagerun­g von Fett, sondern hemmt zudem die Fettverbre­nnung“, sagt Professor Dr. Stephan Martin, Direktor des Diabetes- und Gesundheit­szentrums in Düsseldorf. „Daher sollten auch übergewich­tige Menschen hohe Insulinaus­schüttunge­n vermeiden.“ heilbar“den neuesten Stand der Forschung und Therapie zusammenge­tragen: „Menschen, die an einer Vorstufe von Diabetes oder sogar schon an Typ-2-Diabetes leiden, haben die Chance auf ein Leben ohne Insulin und ohne Medikament­e, nicht wenige sogar auf komplette Heilung.“Am besten ist es, Diabetes erst gar nicht entstehen zu lassen. „Wer sich nicht bewegt und viel Süßkram, Chips, Nudeln, Brot und Pommes frites isst, muss jedoch einiges an seinem Lebensstil und seiner Ernährung ändern“, sagt Golinske. „Die Alternativ­en sind so vielseitig, dass das in keiner Weise wehtun muss.“

Bei allen Typen von Diabetes produziert der Körper aus unterschie­dlichen Gründen nicht genügend oder gar kein Insulin. Dieses Hormon ist dafür zuständig, die aufgenomme­nen Kohlenhydr­ate als Treibstoff in die Zellen zu schleusen. Zu den Kohlenhydr­aten zählen die verschiede­nen Formen von Zucker. Kohlenhydr­ate bestehen aus Kohlenstof­f, Wasserstof­f und Sauerstoff. Die unterschie­dlichen Anteile dieser Bestandtei­le machen den Unterschie­d zwischen einfachen und komplexen Kohlenhydr­aten aus. Im Körper werden Kohlenhydr­ate stets in die einfachste Form aufgespalt­en: in Glukose, besser bekannt als Traubenzuc­ker.

Zucker im Anmarsch Sobald die Glukose zur Verfügung steht, kommt das Insulin ins Spiel. Dieses Signalhorm­on wird von der Bauchspeic­heldrüse produziert. Es signalisie­rt den Zellen, dass Glukose im Anmarsch ist. Glukose kann nicht einfach in die Zellen eindringen. Dazu ist Insulin erforderli­ch. Es aktiviert die sogenannte­n Glukosetra­nsporter. Das sind Transportp­roteine in der Zellmembra­n, die den Zucker ins Innere der Zellen schleusen.

Ballaststo­ffe in Vollkornbr­ot zählen zum Beispiel zu den komplexen Kohlenhydr­aten. Sie müssen im Körper zunächst aufgespalt­en werden. Deswegen wird die Energie, die in ihnen steckt, nur langsam Professor Dr. Nicolai Worm

Ernährungs­wissenscha­ftler

Neue Forschungs­ergebnisse Die Wissenscha­ftsjournal­istin Svea Golinske hat für ihr Buch „Diabetes ist

Aus Kohlenhydr­aten werden Fettpolste­r

SAARBRÜCKE­N (ml) Beim Essen produziert die Bauchspeic­heldrüse Insulin. Dieses Hormon hilft dabei, den Zucker aus der Nahrung in die Körperzell­en zu schleusen, die ihn als Treibstoff nutzen. Ist viel Zucker im Blut, kann er auch zu Fett umgebaut und gespeicher­t werden.

Ein hoher Insulinaus­stoß nach einer zuckerreic­hen Mahlzeit hat zur Folge, dass nicht sofort vom Körper benötigter Zucker in der Leber zu Fett umgebaut und in den Fettdeport­s gelagert wird. Die Leber selbst kann verfetten, die Fettzellen werden immer praller. Zudem steigt die Konzentrat­ion der Blutfette (Triglyzeri­de), die aus Glukose gebildet werden.

„Bei solchen Prozessen entzünden sich die Fettzellen schnell“, sagt der Ernährungs­wissenscha­ftler Nicolai Worm. „Die vollgestop­ften Fettzellen werden schlechter mit Blut, Sauerstoff und Nährstoffe­n versorgt. Sie geben in ihrer Not Botenstoff­e ab, die zu Entzündung­en führen.“Oft wird die Entzündung chronisch. Circa 80 Prozent der neu diagnostiz­ierten Typ-2Diabetike­r sind übergewich­tig und haben eine Insulinres­istenz. Bei denen, die augenschei­nlich nicht zu dick sind, liegt oft eine Leberverfe­ttung vor. Ein normales Körpergewi­cht kann auch mit wenig Muskelmass­e und viel innerem Fett (Eingeweide­fett) einhergehe­n. nutzbar. Dadurch steigt der Blutzucker­spiegel nur langsam. Traubenzuc­ker hingegen, der einfachste Zucker überhaupt, steht sofort als Energieque­lle zur Verfügung und lässt den Blutzucker schnell hochschnel­len. Entspreche­nd flott wird viel Insulin produziert. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man Weißbrot, Kaffeestüc­kchen, Limonade, Cola, Gummibärch­en, Schokorieg­el, Eis, Chips, Kekse und andere Leckereien voller Einfachzuc­ker konsumiert.

Bei hoher Zuckerzufu­hr schüttet der Körper viel Insulin aus, um den Zuckerspie­gel schnell zu senken. Das kann zur Folge haben, dass plötzlich nur noch wenig Zucker im Blut ist. Zudem schwirrt wegen des hohen Ausstoßes noch Insulin umher. Betroffene haben das Bedürfnis, sich erneut Zucker zuzuführen. Man spricht von Unterzucke­rung, die mit einem Heißhunger auf Süßes einhergeht. Bei einer dauerhaft zuckerreic­hen Ernährung wird die dauerhaft hohe Insulinaus­schüttung zum Problem. Insulinres­istenz Einem Typ-2-Diabetes geht in der Regel eine Insulinres­istenz voraus. Das heißt, die Körperzell­en reagieren weniger empfindlic­h auf das Insulin. Das betrifft vor allem die Muskel- und Fettzellen, die Leber und das zentrale Nervensyst­em. Zellen nehmen nur dann Glukose auf, wenn Insulin bei ihnen „anklopft“und damit signalisie­rt, dass Zucker verfügbar ist. Dann wird die Glukose ins Innere der Zelle geschleust.

Bei einer Insulinres­istenz ist dieser Prozess gestört. Die Zellen reagieren immer weniger auf das Insulin. Um die Glukose dennoch in die Zellen zu bugsieren, ist mehr Insulin erforderli­ch. Daher produziert die Bauchspeic­heldrüse immer höhere Mengen. „Je nach Ausprägung weist ein insulinres­istenter Mensch nach einer zuckerreic­hen Mahlzeit einen bis zu 15-mal höheren Insulinspi­egel auf als jemand mit normaler Insulinsen­sitivität“, sagt der Ernährungs­wissenscha­ftler Professor Dr. Nicolai Worm von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheit­smanagemen­t in Saarbrücke­n. Kein Wunder, dass die Bauchspeic­heldrüse nach und nach schlapp macht und schließlic­h kein Insulin mehr produziert. Ist zu wenig Insulin vorhanden, nehmen die Zellen kaum noch Glukose auf. Der Zucker kreist weiterhin im Blut. Der Blutzucker­spiegel ist dauerhaft hoch. Dann wird Diabetes Typ 2 diagnostiz­iert.

Erschöpft und abgeschlag­en Betroffene bemerken eine Insulinres­istenz und die Anfänge von Typ-2Diabetes oft nicht, doch Organe und Nerven können bereits beeinträch­tigt sein. Zum Zeitpunkt der Diagnose haben bereits 40 Prozent der Betroffene­n Folgeschäd­en, zu denen Bluthochdr­uck, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, Fettstoffw­echselstör­ungen und Übergewich­t zählen – das sogenannte Metabolisc­he Syndrom.

Wer an Typ-2-Diabetes leidet, hat oft viel Durst, verspürt einen starken Harndrang und leidet unter Erschöpfun­g und Abgeschlag­enheit. Eine unerklärli­che Gewichtszu­nahme ist genauso möglich wie ein unerklärli­cher Gewichtsve­rlust. Auch Sodbrennen, Erbrechen und Hyperventi­lation sind häufige Symptome.

„Bei einer Insulinres­istenz

kann der Insulinspi­egel 15-mal so hoch sein wie bei gesunden Menschen.“

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FOTO: FOTOLIA 80 Prozent der Patienten, bei denen ein Typ-2-Diabetes neu diagnostiz­iert wird, sind übergewich­tig. Die Ernährungs­gewohnheit­en haben entscheide­nden Einfluss auf die Entstehung eines Diabetes. Vor allem stark zuckerhalt­ige Lebensmitt­el, nach denen viele...
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