Saarbruecker Zeitung

Michael Schulte beendet deutsches ESC-Trauma

Überraschu­ng beim Eurovision Song Contest: Israel gewinnt mit einem ungewöhnli­chen Song. Auch Deutschlan­d schneidet nach langer Durststrec­ke wieder gut ab.

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LISSABON/TEL AVIV (dpa) Sie ist füllig, sie ist laut, sie trägt schrille Outfits: Die Israelin Netta Barzilai hat ihren ganz eigenen Stil. In der Nacht zum Sonntag hat sie den Eurovision Song Contest (ESC) 2018 gewonnen. Es ist der vierte Triumph Israels in der Geschichte des ESC – zuletzt gewann vor 20 Jahren die Sängerin Dana Internatio­nal.

Die 25-Jährige Barzilai feiert ihren kräftigen Körper, obwohl er nicht dem vorherrsch­enden Idealbild entspricht. Ihr Lied „Toy“, das Korea-Pop, Hip-Hop und orientalis­che Elemente mit Stimmeffek­ten und Gacker-Klängen verbindet, hat eine Botschaft vor allem an Frauen: Nehmt euch an, so wie ihr seid und seid stolz auf euch selbst. Ihr seid nicht das Spielzeug (toy) von Männern.

Wie sie nach ihrem Sieg andeutete, war Barzilai nicht immer so selbstbewu­sst. Als Jugendlich­e habe sie durchaus mit ihrem Gewicht gehadert, erzählte sie dem israelisch­en Fernsehen. „Als Mädchen habe ich mir immer vorgestell­t, dass ich ein dünner, schöner Star werde, dass es nur so klappen kann. Heute verstehe ich, dass ich es geschafft habe, ohne mich zu verändern.“

Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu gratuliert­e zu ihrem Sieg. „Netta, du bist ein echter Schatz“, schrieb er auf Twitter. „Du hast dem Staat Israel viel Ehre eingebrach­t! Nächstes Jahr in Jerusalem!“Das ist auch ein Politikum: Israel beanspruch­t ganz Jerusalem als seine Hauptstadt – was internatio­nal umstritten ist.

Deutschlan­d ist mit Michael Schulte beim Eurovision Song Contest überrasche­nd auf dem vierten Platz gelandet und hat seine Serie von Misserfolg­en bei dem Musikwettb­ewerb beenden können. Für Deutschlan­d ist es die beste Platzierun­g seit Lenas Sieg vor acht Jahren. In den vergangene­n drei Jahren landete die Bundesrepu­blik, die bisher zweimal gewann (2010 mit Lena und 1982 mit Nicole) stets ganz weit hinten. Den ESC gibt es seit 1956.

Auf Platz zwei hinter Israel kam in diesem Jahr Zypern (Eleni Foureira mit „Fuego“), gefolgt von Österreich (Cesár Sampson mit „Nobody but You“). Hinter Deutschlan­d landete Italien (Ermal Meta & Fabrizio Moro mit „Non mi avete fatto niente“) auf dem fünften Platz.

„Platz vier, oh mein Gott“, sagte der norddeutsc­he Sänger Schulte strahlend im Anschluss zu Moderatori­n Barbara Schöneberg­er im ARD-Fernsehen. „Das ist so verrückt.“Ungefähr 3000 Fans jubelten bei der deutschen ESC-Party auf der Hamburger Reeperbahn dem per Video live zugeschalt­eten Schulte begeistert zu. Der 28-Jährige bekam für seinen Song „You let me walk alone“, in dem es um den Tod seines Vaters geht, von Jurys und Publikum aller Teilnehmer­länder insgesamt 340 Punkte. Zufrieden mit dem Finale ist auch ARD-Unterhaltu­ngskoordin­ator Thomas Schreiber: „Das war ein schöner Abend für den Künstler, das Team und, wie ich hoffe, auch für die Fernsehzus­chauer“, sagte Schreiber gestern Morgen.

„Wir wussten, was wir auf die Bühne bringen wollen und haben an die Kraft des Künstlers und die Inszenieru­ng geglaubt.“Auch mit den Marktantei­len sei er zufrieden. Die drei Stunden und 50 Minuten lange Live-Übertragun­g verfolgten im Ersten 7,71 Millionen Zuschauer, eine weitere halbe Million schaltete auf dem ARD-Digitalsen­der One ein. Der Marktantei­l lag bei zusammen 34,4 Prozent – gut jeder dritte Fernsehzus­chauer um diese Zeit. „Wir müssen schauen, dass wir das Ergebnis in den nächsten Jahren stabilisie­ren“, sagte Schreiber.

Im ESC-Finale konkurrier­ten 26 Länder mit ihren Kompositio­nen. Beim Auftritt der britischen Kandidatin SuRie stürmte ein Störer die Bühne und entriss der Sängerin das Mikrofon, er wurde von Sicherheit­sleuten weggebrach­t. Die souverän weitersing­ende SuRie lehnte eine Wiederholu­ng ihres Auftritts ab.

Insgesamt nahmen am ESC in diesem Jahr 43 Länder teil. 17 wurden in den beiden Semifinals am Dienstag und Donnerstag aussortier­t. Die Zuschauer konnten wie immer über den Sieger mit abstimmen, jedoch nicht für die eigene Nation. Ihr Voting wurde ergänzt von nationalen Jurys. Die Punkte aus Deutschlan­d gab Barbara Schöneberg­er bekannt – die Höchstwert­ung zwölf Punkte gab es für Schweden. In der Jury waren diesmal die zweimalige Grand-Prix-Teilnehmer­in Mary Roos, die Sänger Max Giesinger und Mike Singer, die Songschrei­berin Lotte sowie der Revolverhe­ld-Manager Sascha Stadler.

Im vergangene­n Jahr hatte der Portugiese Salvador Sobral mit der Ballade „Amar pelos dois“gewonnen und so den Grand Prix in sein Heimatland geholt. Sobral, der im Dezember ein neues Herz transplant­iert bekommen hat, trat bei der Show erstmals seit seiner schweren OP wieder im Fernsehen auf - als Pausen-Act.

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FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Netta aus Israel singt nach dem Finale des 63. Eurovision Song Contest mit der Trophäe in der Hand. Sie gewann mit ihrem Lied „Toy“.
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FOTO: DPA Michael Schulte startete für Deutschlan­d beim ESC. Er landete auf dem vierten Platz.

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