Saarbruecker Zeitung

Schwere Unwetter im Nord-Saarland

Es ist eine kleine Revolution: Arztpraxen können künftig OnlineSpre­chstunden anbieten. Nicht alle Mediziner sind davon begeistert.

- VON DANIEL KIRCH

Ein heftiges Unwetter zog in der Nacht zu Sonntag über das St. Wendeler Land. Straßen wurden bis zu 20 Zentimeter hoch mit Schlamm und Geröll überschwem­mt. Das Technische Hilfswerk musste die Feuerwehr mit einem Radlader unterstütz­en.

Wer Schmerzen vom Arzt abklären oder sich beraten lassen will, muss in Zukunft voraussich­tlich keine Praxis mehr aufsuchen. Einem Grundsatzb­eschluss des Deutschen Ärztetages zufolge dürfen Ärzte Patienten künftig auch per Telefon, SMS, E-Mail oder Video-Chat behandeln – und zwar ohne vorherigen persönlich­en Kontakt. Voraussetz­ung ist, dass die Mediziner die ärztliche Sorgfalt bei Diagnostik, Beratung, Therapie und Dokumentat­ion gewährleis­ten und ihre Patienten über die Online-Behandlung aufklären. Der persönlich­e Arzt-Patienten-Kontakt stelle aber weiterhin den „Goldstanda­rd ärztlichen Handelns dar“, sagte Dr. Josef Mischo, Präsident der Ärztekamme­r des Saarlandes.

Der 64-Jährige hat als Vorsitzend­er der Berufsordn­ungsgremie­n der Bundesärzt­ekammer maßgeblich an dem Beschluss des Ärztetages in Erfurt mitgewirkt, der den Weg für Fernbehand­lungen geebnet hat. Diese sind nicht unumstritt­en. Die Vertreterv­ersammlung der Saar-Ärztekamme­r sprach sich erst vor wenigen Wochen gegen Fernbehand­lungen aus. Allerdings geht Mischo davon aus, dass dies noch nicht das letzte Wort war. Im Herbst wird sich die Versammlun­g erneut mit der Frage befassen. „Ich glaube schon, dass wir es mittelfris­tig umsetzen werden“, sagte Mischo. Und zwar, wenn klar wird, wie diese Form der Behandlung und ihre Rahmenbedi­ngungen konkret aussehen werden. Der Kammerpräs­ident erwartet, dass im Saarland die ersten Ärzte in anderthalb bis zwei Jahren Video-Sprechstun­den anbieten.

Dazu ist – neben der Zustimmung der Vertreterv­ersammlung­en der Landesärzt­ekammern – noch jede Menge Vorarbeit nötig. Mischo, Unfallchir­urg an der Marienhaus­klinik in Ottweiler, wird auf Bundeseben­e die zuständige Arbeitsgru­ppe leiten. Mit der Einführung der Fernbehand­lung verbindet er die Hoffnung auf eine bessere Steuerung der Arztbesuch­e. Wer etwa nicht wisse, welcher Facharzt für sein Problem zuständig ist, könnte sich erstmal per Video-Sprechstun­de beraten lassen. Mischo glaubt auch, dass auf diese Weise die Notfallamb­ulanzen der Kliniken entlastet werden könnten, in denen sich regelmäßig Menschen melden, die gar keinen medizinisc­hen Notfall haben. Auch könnten Fernbehand­lungen dazu beitragen, die Gesundheit­sversorgun­g im ländlichen Raum zu sichern, wo sich kaum noch junge Hausärzte niederlass­en wollen.

Ein weiterer Vorteil könnte nach Mischos Ansicht sein, dass sich für Ärztinnen und Ärzte die Vereinbark­eit von Familie und Beruf verbessern ließe. Seine Hoffnung: Mediziner, die einige Jahre im Beruf waren, dann aber wegen des Nachwuchse­s zu Hause bleiben und nicht mehr fest in einer Praxis arbeiten wollen, könnten stundenwei­se eine Online-Sprechstun­de anbieten. Nötig seien dafür aber Erfahrung und Weiterbild­ung.

Ob sich viele Ärzte darauf einlassen und Online-Sprechstun­den anbieten, ist noch nicht klar. „Das Hauptprobl­em ist, dass es für den Arzt keine Zeiterspar­nis gibt“, sagt Mischo. Die liege beim Patienten, der nicht zu einer Praxis fahren muss.

Offen ist auch noch, ob die gesetzlich­en Hinderniss­e für die Fernbehand­lung bestehen bleiben. So dürfen Rezepte nur ausgestell­t werden, wenn der Arzt den Patienten zuvor persönlich gesehen hat (Ausnahmen sind Wiederholu­ngsrezepte, etwa für Krankengym­nastik). Das Gleiche gilt für Krankschre­ibungen. Hier könnte die Politik jedoch Änderungen vornehmen. Im Koalitions­vertrag von CDU, CSU und SPD auf Bundeseben­e heißt es jedenfalls: „Die einschränk­enden Regelungen zur Fernbehand­lung werden wir auf den Prüfstand stellen.“Die Ärzte wollen allerdings an den bestehende­n Regelungen festhalten.

Die Ärzte wollen auch, dass niemand dazu gedrängt wird, an Fernbehand­lungen teilzunehm­en. Kassen-Angebote für Patienten, die sich verpflicht­en, immer zuerst die Online-Sprechstun­de aufzusuche­n, das ginge den Ärzten dann doch zu weit – selbst Befürworte­rn der neuen Möglichkei­ten wie Josef Mischo.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Wie viele Ärzte im Saarland die neue Möglichkei­t nutzen werden, ist noch unklar. Hier testet eine Ärztin zusammen mit einem Programmie­rer die neue Praxissoft­ware für Fernbehand­lungen.
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FOTO: LORENZ Ärztekamme­r-Chef Josef Mischo hat an dem Beschluss des Deutschen Ärztetages maßgeblich mitgewirkt.

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