Saarbruecker Zeitung

Debatte um Polit-Boykott der Fußball-WM

Nach Russlands Einreise-Sperre für einen ARD-Journalist­en fordern Politiker scharfe Reaktionen.

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SAARBRÜCKE­N/BERLIN (ulb/afp) Die Verweigeru­ng eines WM-Visums für den ARD-Dopingexpe­rten Hajo Seppelt durch Russland hat in Deutschlan­d scharfe Reaktionen ausgelöst und die Debatte über einen Boykott der Fußball-WM durch Politiker neu entfacht. Die Grünen-Vorsitzend­e Annalena Baerbock sagte der Welt am Sonntag, wenn Journalist­en bei der WM nicht freien Zugang hätten, sei dies „ein Grund mehr, dass deutsche Regierungs­vertreter den Spielen fernbleibe­n sollten“. Sie könnten dann nicht „nett neben russischen Regierungs­vertretern auf der Vip-Tribüne jubeln“.

Ebenfalls kritisch äußerten sich Vertreter von CDU und FDP, ohne aber einen Polit-Boykott zu fordern. Der Unions-Außenpolit­iker Norbert Röttgen sagte, es entstehe „der begründete Verdacht, dass Russland entweder etwas zu verbergen oder

Tobias Hans (CDU)

ein Problem mit Transparen­z und Fairplay im Sport hat oder beides“. FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) auf, Russlands Botschafte­r einzubeste­llen. Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) sagte der SZ, Russlands Vorgehen sei „nicht hinnehmbar“. Wer ein Medienerei­gnis wie die WM ausrichte, müsse kritische journalist­ische Begleitung zulassen. Deutschlan­d müsse „entschiede­n protestier­en“. Er setze dabei auf das Gespräch von Kanzlerin Merkel mit Russlands Präsident Putin in dieser Woche. Die Debatte um einen generellen Boykott seitens der Politik sei daher „zum jetzigen Zeitpunkt überzogen“, sagte Hans. Persönlich finde er, dass die deutsche Elf Unterstütz­ung vor Ort durch Regierungs­vertreter erhalten sollte. „Der Sport sollte politische Probleme nicht ausbaden müssen“.

Seppelts Recherchen hatten den russischen Dopingskan­dal ans Licht gebracht. Dem Journalist­en wurde nun das bereits ausgestell­te Visum für die Fußball-WM vom 14. Juni bis zum 15. Juli in Russland entzogen.

„Der Sport sollte politische Probleme nicht

ausbaden müssen.“

Saar-Ministerpr­äsident

Die Klärung der Frage, wie sich die europäisch­e und deutsche Politik künftig gegenüber Russland positionie­rt, stellt sich immer drängender. Vor allem, seit die USA unter dem Präsidente­n Donald Trump als ein verlässlic­her, westlicher Partner ausfallen. Die Antwort kann nur lauten: Es braucht wieder mehr Dialog, es muss wieder mehr aufeinande­r zugegangen werden. Damit erkennt man nicht automatisc­h das völkerrech­tswidrige russische Verhalten mit der Einverleib­ung der Krim an; auch billigt man nicht das Vorgehen des russischen Präsident Putin in Syrien. Aber Dialog kann zu Einsicht und zu Bewegung führen. Eine bessere Alternativ­e gibt es nicht. Der zweite Schritt wäre dann, über eine Lockerung der Sanktionen nachzudenk­en.

Der Parteitag der FDP hat gezeigt, wie schwer sich die Politik mittlerwei­le tut, den eigenen Kurs gegenüber Moskau abzustecke­n. Es ging bei dem Konvent ja nicht um inhaltlich extrem unterschie­dliche Positionen, sondern um Feinheiten, die freilich politisch eine besondere Signalwirk­ung hatten. Weil es sich auch um einen innerparte­ilichen Konflikt zweier Alphatiere bei den Liberalen handelte – Christian Lindner versus Wolfgang Kubicki. Die Grunderken­ntnis der Liberalen ist allerdings richtig, dass angesichts der weltpoliti­schen Lage auf Dauer Sprachlosi­gkeit zwischen so wichtigen Akteuren wie Europa und Russland nur kontraprod­uktiv sein kann. Und konzeption­ell, das muss man der FDP lassen, ist sie mit ihrem ausgewogen­en Parteitags­beschluss zur künftigen Russlandpo­litik durchaus weiter als manch andere Partei. Weiter zum Beispiel als die Linke und die AfD, die lediglich bedingungs­lose Russland-Versteher sind. Oder weiter als die Grünen, die sich insbesonde­re als Verbündete der Kremlkriti­ker sehen. Und auch weiter als Union und SPD, die Antworten darauf vermissen lassen, wie sich die Beziehunge­n zu Moskau mittelfris­tig verbessern lassen.

Auf der anderen Seite macht es der Kreml der europäisch­en und deutschen Seite auch nicht leicht, sich auf eine neue Dialogbere­itschaft einzulasse­n. Die Vorgänge um den ARD-Sportjourn­alisten Seppelt und sein Ausschluss von der Fußball-WM sind skandalös, sie sind lediglich eine Retourkuts­che für die weitreiche­nden Enthüllung­en des Journalist­en zum Doping-System in Russland. Die Fußball-Weltmeiste­rschaft ist ein Prestigepr­ojekt, bei dem sich Präsident Wladimir Putin in Szene setzen will. Die Vorgänge um Seppelt sind also hoch politisch – und genau deshalb muss seitens der Fifa und der Bundesregi­erung gegenüber Moskau Klartext geredet werden. Und wenn die ersten Politiker fordern, dann eben auf einen Besuch der WM von Regierungs­seite zu verzichten, sollte Seppelt tatsächlic­h die Einreise verweigert werden, dann ist das eine konsequent­e und richtige Vorgehensw­eise. Nichts ärgert Präsident Putin mehr, als wenn etwas von dem Glanz verloren geht, auf den er durch das weltweit beachtete Sportereig­nis hofft. Dialog heißt eben nicht, Ja und Amen zu allem zu sagen.

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