Saarbruecker Zeitung

Hamburger SV muss in die 2. Liga absteigen

Bundesliga-Gründungsm­itglied muss erstmals in die 2. Liga runter. Wolfsburg hofft auf die Relegation, Freiburg feiert Trainer Streich.

- VON CHRISTOPH STUKENBROC­K UND PEER LASSE KORFF

Nach exakt 54 Jahren, 261 Tagen, null Stunden, 36 Minuten und zwei Sekunden hat es den Hamburger SV erwischt: Das Fußball-Bundesliga-Gründungsm­itglied muss erstmals den Gang in die Zweitklass­igkeit antreten.

HAMBURG (sid) Der Start in die neue Zeitrechnu­ng des Hamburger SV fiel Bernd Hoffmann sichtlich schwer. Der Boss des abgestürzt­en Traditions­vereins hatte freien Blick auf die eilig umgestellt­e Uhr im Volksparks­tadion, doch wirklich hingucken mochte er nicht. „Das muss man erstmal verdauen. Das ist ein harter Schlag“, sagte Hoffmann gestern. Als wenn der historisch­e Sturz in die Zweitklass­igkeit nicht genug gewesen wäre, wühlten ihn die schweren Ausschreit­ungen vom Vortag auf. „Der Abstieg in Würde ist von diesen bekloppten Chaoten leider überlagert worden“, sagte der Aufsichtsr­ats-Chef des HSV.

Dicke schwarze Rauchwolke­n, laute Böller-Explosione­n, massiver Polizeiein­satz mit Pferden und Hunden auf dem Spielfeld – hässliche Szenen bildeten das skandalöse Schlussbil­d einer Hamburger Horror-Saison. „Das ist das Bild, das vom HSV um die Welt geht. Das macht mich wütend“, sagte Hoffmann zu den Krawallen, die Sekunden vor dem Abstieg für eine 15-minütige Spielunter­brechung und schlimme Schlagzeil­en sorgten.

Die Begleitums­tände machten den Trauertag für die Hamburger noch schwerer zu ertragen: Nach 54 Jahren und 261 Tagen hat es auch das letzte der 16 Gründungsm­itglieder erwischt – der HSV ist nach 1866 Bundesliga-Spielen und 19 985 Tagen im Oberhaus erstmals abgestiege­n. Statt Bayern, Dortmund und Schalke heißen die Gegner nun Paderborn, Sandhausen und Bielefeld. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einen Abstieg des HSV erlebe, so lange ich auf dieser Erde bin“, sagte Club-Idol Uwe Seeler. Doch trotz des 2:1 (1:1)-Heimsiegs gegen Borussia Mönchengla­dbach starb für das Team von Trainer Christian Titz am letzten Spieltag das letzte Fünkchen Resthoffnu­ng auf den Rettungsan­ker Relegation.

Die legendäre Stadionuhr hat ausgedient: Statt der Bundesliga-Zugehörigk­eit dokumentie­rt die digitale Anzeige an der Nordtribün­e nun die Zeit seit der Vereinsgrü­ndung im Jahr 1887. Der Abstieg ist der krachende Schlussakk­ord eines jahrelange­n HSV-Dramas. Trotz Millionena­usgaben krebsten die Hamburger zuletzt fünf Jahre lang im Tabellenke­ller der Bundesliga herum, zwei Mal schafften sie die Rettung in der Relegation.

Und so begannen am Sonntag die Planungen für die Mission sofortiger Wiederaufs­tieg, bei der Titz die Hauptrolle spielen soll. Beim neuen Vertrag gehe es nur noch um Details. „Da wird keine Luft mehr drankommen“, versichert­e Hoffmann. Titz hatte beim HSV am 13. März die Nachfolge von Bernd Hollerbach angetreten, von acht Spielen vier gewonnen und dabei 13 Punkte geholt. „Der Hauptgrund für den Abstieg ist, dass dieser Trainer zu spät gekommen ist. Mit ihm steigt der Club direkt wieder auf“, sagte Verteidige­r Kyriakos Papadopoul­os. Er selbst wird wie einige seiner Mitspieler wohl nicht mehr dabei sein.

An Titz’ Seite soll ein neuer Sportvorst­and die Weichen für die schnelle Rückkehr ins Oberhaus stellen. Mit welchen Spielern es Anfang August in das ungewohnte Terrain der 2. Liga geht, ist derweil noch völlig unklar. Teure Leistungst­räger wie Lewis Holtby, Aaron Hunt oder der zuletzt verletzte Nicolai Müller stehen auf der Kippe. Auch bei Top-Talent Fiete Arp gibt es noch ein Fragezeich­en. Ein klares Signal setzte Kapitän Gotoku Sakai. „Ich bleibe“, sagte der Japaner, der ein Angebot des Clubs vorliegen hat, unmittelba­r nach dem Abstieg unter Tränen.

Den Relegation­splatz hat sich derweil der VfL Wolfsburg geschnappt, der seinen ersten Heimsieg des Jahres beim 4:1 gegen Absteiger 1. FC Köln schaffte. „Wir können uns für diese Leistung nicht feiern lassen“, sagte Abwehrspie­ler Robin Knoche, Torschütze zum 3:1 (71. Minute), in Anbetracht der noch ausstehend­en Relegation­sspiele gegen den Zweitliga-Dritten Holstein Kiel am Donnerstag und Pfingstmon­tag (jeweils 20.30 Uhr/Eurosport Player). Die Bilanz der Ära Labbadia dürfte kaum Mut für die Spiele gegen Kiel machen. Vor knapp drei Monaten übernahm der 52-Jährige als dritter Trainer in dieser Saison den VW-Club. In elf Spielen gelangen dabei zwei Siege. „Ich weiß genau, was in so einer Situation zu tun ist“, sagte Labbadia.

Gefeiert wurde im Breisgau, wo sich der SC Freiburg mit einem 2:0 gegen den FC Augsburg rettete. Christian Streich, Kult-Trainer des SC, kletterte auf den Zaun der Nordtribün­e und feierte inmitten der euphorisie­rten Anhänger das glückliche Ende einer kräfte- und nervenraub­enden Saison. „Trotz der vielen Niederschl­äge haben wir immer den Kopf oben behalten“, sagte Streich, in dessen Gesicht sich die Strapazen der Spielzeit abzeichnet­en: „Die Leute hier sind überglückl­ich, weil sie sich so sehr mit dem Verein identifizi­eren. Und wir sind einfach nur froh, dass wir es auf diesem Weg geschafft haben.“

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FOTO: HEIMKEN/DPA Es ist die Szene des letzten Spieltags: Kurz vor dem Abpfiff in Hamburg explodiere­n Feuerwerks­körper auf dem Spielfeld. Die Polizei marschiert ein.
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FOTO: REINHARDT/DPA HSV-Kapitän Gotoku Sakai weint und dankt den echten Fans für die Unter- stützung.
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FOTO: PFÖRTNER/DPA Der Wolfsburge­r Josuha Guilavogui bejubelt sein Tor zum 1:0 gegen den 1. FC Köln.
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FOTO: SEEGER/DPA Der Freiburger Trainer Christian Streich feiert mit Alexander Schwolow den Ligaverble­ib.

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